Wie jetzt durch einen Beitrag auf Indymedia bekannt wurde, fand eine Hausdurchsuchung am 15. Juni in Berlin im Kontext des Frankfurter 129a-Verfahrens gegen Linke statt. Zunächst hatte es gehießen, die Razzia habe im Zuge des Antifa-Ost-Verfahrens stattgefunden. Wir dokumentieren hier den Beitrag der Roten Hilfe Berlin.

Uns ist in unserem Statement zu den jüngsten Entwicklungen im Antifa-Ost Verfahren ein sachlicher Fehler unterlaufen. Wir hatten fälschlicherweise berichtet, dass beide Durchsuchungen bei Genoss*innen am 15. Juni  in Berlin und Leipzig im Kontext des Antifa-Ost Verfahrens stattfanden. Tatsächlich stimmt das nur für die Durchsuchung in Leipzig. Die Durchsuchung in Berlin fand zwar auch aufgrund der Kronzeugenaussagen von Johannes Domhöver und im Auftrag der Bundesanwaltschaft statt, allerdings im Kontext eines anderen Verfahrens. Und zwar ging es dabei um ein vom BKA geführtes Ermittlungsverfahren zu dem Angriff auf auf die Leipziger Außenstelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 1.1.2019. Die Ermittlungen laufen nach § 129a StGB („terroristische Vereinigung“), quasi dem großen Bruder des § 129 StGB („kriminelle Vereinigung“), nach dem im Antifa-Ost Verfahren ermittelt wird.

Im Rahmen dieses Verfahrens kam es bereits im Juni 2020 zu Hausdursuchungen bei Genoss:innen in Frankfurt am Main. Außerdem bekamen Genoss:innen Zeug:innenvorladungen vom BKA, die erfreulicherweise allesamt mit konsequenter Aussageverweigerung beantwortet wurden. Alle Infos zu dem Verfahren, dem Widerstand dagegen und der Solidaritätsarbeit für die Betroffenen sind hier zu finden.

An unserer inhaltlichen Einschätzung zu den Durchsuchungen und den Kronzeugenaussagen ändert sich dadurch nichts. Vielmehr sehen wir uns in unserer Einschätzung bestätigt, dass Johannes Domhöver in der trügerischen Hoffnunfg, seinen eigenen Hals retten zu können, offenbar einfach zu allem Geschichten erzählt hat, wozu sich die Repressionsbehörden bisher die Zähne ausgebissen haben. Wir sind natürlich mit den Betroffenen des §129a Verfahrens Frankfurt/Leipzig ebenso solidarisch, wie mit den Betroffenen des Antifa-Ost Verfahrens. Wir wünschen den betroffenen Genoss:innen alles Gute und viel Kraft!

Getroffen hat es einige – gemeint sind wr alle!

Hier nochmal das ursprüngliche Statement:

Contentwarning: In diesem Text wird auch sexualisierte Gewalt thematisiert.

Am 15. Juni fanden im Kontext des sogenannten Antifa-Ost Verfahrens zwei Hausdurchsuchungen in Berlin und Leipzig statt. 

Das Verfahren wird seit September 2021 vor dem sächsischen Oberlandesgericht in Dresden geführt. Der vermeintlichen Vereinigung werden eine Reihe antifaschistischer Aktionen vorgeworfen. Vier Genoss:innen sind angeklagt, zusammen mit mindestens sechs weiteren Beschuldigten eine „kriminelle Vereinigung“ im Sinne des §129 StGB gebildet zu haben. Eine der angeklagten Genoss:innen, Lina, sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft.

Wie wir erfahren mussten, fanden die letzten Durchsuchungen aufgrund von Kronzeugenaussagen statt. Einer der Beschuldigten, Johannes Domhöver, hatte sich entschieden im Tausch gegen vermeintlichen Schutz und Strafmilderung ausführliche Aussagen bei den Repressionsbehörden zu machen. Allein zum Antifa-Ost Verfahren umfassen die Aussagen mehrere hundert Seiten. Hinzu kommen offenbar weitere Aussagen zu Personen und Strukturen aus der linken Bewegung im ganzen Bundesgebiet, über die Domhöver Kenntnis zu haben vorgibt.

Das ist nicht das erste Mal, dass Johannes alles, wofür er einzustehen vorgegeben hat, durch sein Handeln verraten hat. Im Oktober vergangenen Jahres wurde öffentlich gemacht, dass er, während er sich in linken Zusammenhängen bewegte, gegenüber mehreren Personen massiv sexualisierte und psychische Gewalt ausübte, Übergriffe beging und mit Selbst- und Fremdverletzung drohte. Seitdem sein Verhalten öffentlich bekannt wurde, hat er unseres Wissens nach keine weitere Unterstützung durch Solidaritätsgruppen und -bündnisse erfahren – weder finanziell, noch politisch.

Mit seinem sexistischen Verhalten und den Aussagen bei den Repressionsbehörden hat sich Johannes Domhöver entschieden, sämtliche Prinzipien der Solidarität und Menschlichkeit über Bord zu werfen.

Durch die patriarchale Gewalt, die er ausgeübt hat, hat er sich komplett von einem linken Selbstverständnis entsolidarisiert und sich den Prinzipien der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zugewandt, was nun ganz öffentlich in seiner Verbeugung vor der Staatsmacht mündet.

Mit seinen Aussagen versucht er einfach nur seinen eigenen Hals zu retten. Die Gewalt der Repressionsbehörden gegenüber anderen hat er damit vollständig mitzuverantworten. . Hinzu kommt, dass ihm bekannt sein dürfte, dass seine Aussagen über die Verteidigung der Nebenklage höchstwahrscheinlich auch in die Hände von Faschist:innen gelangen.

Wir verurteilen diesen Verrat, genauso wie den vorangegangenen durch die Ausübung sexualisierter Gewalt, auf`s Schärfste. Allen, die unter den Handlungen von Johannes Domhöver zu leiden haben und hatten, direkt oder vermittelt durch die Staatsgewalt, sprechen wir unsere volle Solidarität aus.

Wir unterstützen auch jetzt noch explizit, dass er für die sexualisierte Gewalt, die er ausgeübt hat, (szene)öffentlich geoutet wurde. Der konsequente Kampf gegen patriarchale Gewalt kann unsere eigenen Strukturen nicht ausklammern. Outings wie dieses sind darin ein mutiger und notwendiger Schritt. Sie machen die Gewalt, die innerhalb unserer eigenen Strukturen und Gemeinschaften passiert, sichtbar. Und nur wenn sie sichtbar ist, können wir sie bekämpfen und uns davor schützen.

Aus diesen Gründen lehnen wir es ab, den Schutz vor Repression gegen den Schutz vor sexualisierter Gewalt auszuspielen.

Wir alle wissen, dass auf Johannes Domhövers Aussagen Repression folgt. Es war seine Entscheidung. Die Verantwortung dafür jetzt bei anderen zu suchen, trifft letztendlich nur diejenigen, die sowieso schon am meisten unter seinem Verhalten zu leiden haben.

Statt solcher unsolidarischer Diskursverschiebungen sollten wir uns auf das konzentrieren, was uns wirklich gegen Repression hilft: Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Aber auch Aussageverweigerung, Wachsamkeit, eine konstante Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen, solidarische Kritik und den Mut und das Vertrauen untereinander genau das offen diskutieren zu können.  Dies sind die Grundlagen unserer Beziehungen als Genoss:innen. Sie werden nicht durch Personen aufrechterhalten, welche ihre politischen Grundsätze, sowie die Menschen in ihrem Umfeld, verraten haben. 

Zu einem solidarischen Umgang gehört für uns auch, dass wir nicht spekulieren. Auch nicht darüber, über wen oder was genau der Verräter Aussagen getroffen haben könnte. Wir wissen, dass viele Menschen aktuell besorgt sind, um sich oder ihre Genoss*innen, aber auch hier gilt: Spekulationen helfen lediglich den Repressionsbehörden. 

Wir müssen davon ausgehen, dass Domhöver in den Vernehmungen alles erzählt, wovon er denkt, dass es ihn wertvoll erscheinen lässt – egal ob frei erfunden oder nicht. Kriminalämter und der VS interessieren sich nicht für die Wahrheit, sondern vor allem dafür, ihre repressiven Maßnahmen zu rechtfertigen. 

Wir sollten auch nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, indem wir angesichts des Verrats unsere ganze Aufmerksamkeit auf den Verräter lenken. Das hat er nicht verdient und es bringt auch nichts. Fruchtlose Überlegungen und Debatten von linken Autor:innen zu Beweggründen und Psyche von Verrätern wie Tarek Mousli und Hans-Joachim Klein haben reihenweise Bücher und Artikel gefüllt, während die Erfahrungen derjenigen, die von ihnen verraten wurden, kaum Platz in der linken Geschichtsschreibung fanden. 

Das sollte uns nicht nochmal passieren. Wir müssen aufeinander aufpassen, emotionale Arbeit leisten und diejenigen Genoss*innen, welche von Johannes Domhövers verachtenswertem Verhalten betroffen sind, unterstützen, wo wir nur können. Der Vereinzelung, dem Misstrauen und dem Gefühl der Hilflosigkeit müssen wir unsere Solidarität entgegensetzen. Das beinhaltet auch, ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, dass wir diese Situation gemeinsam tragen können und werden. Darauf sollten wir uns konzentrieren. 

Wenn wir das schaffen, dann ist unser Ausspruch „getroffen hat es einige, gemeint sind wir alle“ keine leere Phrase, sondern ein Gefühl und eine Praxis unter Genoss:innen. 

Freiheit für Lina und alle anderen politischen Gefangenen! 

Von der Roten Hilfe Berlin.