Im dritten Teil unserer Serie zu dem anstehenden Urteil gegen den Offenbacher Nazi Franco Albrecht veröffentlichen wir ein Interview des Diskus (Frankfurter Studierendenzeitschrift). Die Autorinnen sprachen mit einem Marburger Rechtsanwalt über den §89a, weswegen Albrecht u.a. angeklagt ist. Für eine Linke ist es wichtig Prozesse gegen Nazis stets kritisch zu begleiten und sich somit auch mit solchen neueren Paragraphen auseinanderzusetzen. Hier kommt ihr zu Teil 1 und Teil 2.

Interview mit Jannik Rienhoff

Seit Mai 2021 muss sich der Bundeswehrsoldat Franco A. in Frankfurt vor dem Oberlandesgericht verantworten. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) wirf ihm vor, unter falscher Identität eines syrischen Geflüchteten ein Attentat auf Personen des öffentlichen Lebens geplant zu haben. Wir begleiten den Prozess seit Beginn. In diesem Interview sprechen wir mit dem Rechtsanwalt Jannik Rienhoff über seine Einschätzung zum Prozess und verfahrenstechnische Fragen.

diskus: Wir beobachten den Prozess gegen Franco A. seit Mai. Dabei ist uns immer wieder aufgefallen, dass die Generalstaatsanwälte sich auffällig ruhig verhalten und wenige Fragen stellen, was wir auch in unseren Artikeln schon thematisiert haben. Wie beurteilst du solch ein Verhalten, kann das auch eine Taktik sein?

Das Verhalten der Staatsanwaltschaft ist sehr abhängig vom Verhalten des Gerichts und vom Verhalten des Angeklagten. Räumt er vieles ein und stellt das Gericht bereits „die richtigen Fragen“, kann sich die Staatsanwaltschaft auch mal zurückhalten. Allerdings sehe ich schon, dass es manchmal einen größeren Eifer gibt, etwas zu verfolgen, und manchmal weniger. Das gleiche gilt für Anträge, Eingriffsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren oder Haftbefehle.

diskus: Welchen Handlungsspielraum haben sie vor und während des Prozesses?

Die Staatsanwaltschaften legen fest, wegen was Anklage erhoben wird. Diese muss vom Gericht zugelassen werden, aber grundsätzlich bestimmt die Staatsanwaltschaft welche Delikte in Betracht kommen. Hierbei haben die Staatsanwaltschaften einen gewissen Spielraum. Sie sind an die Tatbestände des Strafgesetzbuches gebunden, können aber im Rahmen ihres Ermessens bereits eine Vorauswahl treffen. Ein Nachtrag und eine Erweiterung durch das Gericht kommen vor, aber der grobe Weg wird durch die Staatsanwaltschaften vorgegeben. Was am Ende dabei rauskommt, ist natürlich eine Frage des Prozesses.

Im Prozess vertreten sie das, was sie zuvor angeklagt haben bzw. reagieren auf den Gang der Verhandlung. Wie sie eingreifen, kommt daher auf den Prozessverlauf, aber auch auf das Verhalten des Gerichts an. Stellt das Gericht bereits alle relevanten Fragen, hält sich die Staatsanwaltschaft häufig eher zurück. Ebenso, wenn sie wenig Interesse an dem Fall und der Verfolgung hat.

diskus: Wie arbeitet eigentlich die Generalbundesanwaltschaft?

Die Generalbundesanwaltschaft arbeitet im Prinzip genauso wie alle Staatsanwaltschaften. Sie übernimmt deren Funktion, am Bundesgerichtshof. Sie übernimmt bei bestimmten Verfahren und Delikten die Zuständigkeit. Das ist primär bei Staatsschutzverfahren, also Verfahren gegen die innere und äußere Sicherheit, der Fall, wie aktuell im Fall Franco A. Dann sind die „normalen“ Staatsanwaltschaften nicht mehr zuständig bzw. die GBA kann das Verfahren an sich ziehen.

Interessant ist auch ihre enge Anbindung an das Justizministerium.

diskus: Inwiefern?

Die Staatsanwaltschaften sind grundsätzlich nicht Teil der Judikative, sondern der Exekutive und damit dem Justizministerium unterstellt. Bei den „normalen“ Staatsanwaltschaften spielt das keine Rolle. Der Generalbundesanwalt ist aber ein sogenannter politischer Beamte, d.h. er wird vom Justizministerium ausgewählt und kann jederzeit entlassen werden, da er die Ansichten und Ziele der jeweiligen Bundesregierung vertreten soll. Bei der GBA gibt es dementsprechend eine stärkere Anbindung an und Abhängigkeit vom Justizministerium als bei den anderen Staatsanwaltschaften. Die Generalstaatsanwät:innen sind seit 2010 keine politischen Beamten mehr, auch wenn sie natürlich nicht wirklich unabhängig sind. Sie müssen aber nicht offen die politische Linie der Regierung vertreten. Insofern hat der GBA eine besondere Rolle.

diskus: Die Anklage der staatsgefährdenden Straftat wurde zuerst vom Senat abgelehnt und erst im Zuge der Beschwerde durch die GBA schließlich doch angenommen. Ist das ein gängiges Vorgehen?

Es kommt durchaus vor, dass Gericht und Staatsanwaltschaft darüber streiten, was und wo angeklagt wird. Häufig ist dies aber nicht, da das Gericht auch bei einer „höheren“ Anklage ein „niedrigeres“ Urteil fällen kann. Umgekehrt ist es schwieriger. Vielleicht wollte das Gericht den Prozess nicht führen und hat gehofft, ihn so an ein unteres Gericht verweisen zu können. Hierüber kann ich aber nur spekulieren. Grundsätzlich ist es aus Sicht der Staatsanwaltschaft sinnvoll erstmal „möglichst hoch“ einzusteigen.

Hierbei ist auch relevant, dass sich damit der Bundesgerichtshof mit der Sache schon einmal befasst hat und indirekt eine Einschätzung gegeben hat, als er die Aufhebung des Haftbefehls angeordnet hat. Der BGH hat gesagt, er soll aus der Haft entlassen werden, weil eine Verurteilung in der Art und Weise nicht wahrscheinlich ist.  Hier wird deutlich, dass der BGH nicht unbedingt von § 89a StGB ausgeht aber es für möglich hält. Weil sie es jedoch nicht ausschließen können, muss das Gericht es verhandeln.

diskus: Der Paragraph zur ‚Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat‘ (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB) ist relativ neu. Wie schätzt du diesen Paragraphen ein?

Die Delikte der Staatsgefährdung sind sehr umstritten und ich sehe sie auch kritisch. Sie sind im Zuge der Diskussion um islamistisch motivierte Anschläge entstanden und sollen eine mögliche Lücke in der Strafbarkeit schließen. Es geht darum, Verhalten zu sanktionieren, das vor einer Tat liegt. Bei besonderen Delikten soll schon die Vorbereitung einer Straftat strafbar sein, was grundsätzlich dem deutschen Strafrecht eher fremd ist und auch die Grenze zum Polizeirecht verwässert. Es geht dabei um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, bevor ein Rechtsgut überhaupt verletzt wurde. Das ist aus Sicht eines liberalen Strafrechts, dass als Ultima Ratio begriffen wird, höchst problematisch. Zudem eröffnet es – ähnlich wie § 129a StGB – eine Reihe von Eingriffsbefugnissen für die Strafverfolgungsbehörden, wie bspw. Telekommunikationsüberwachung oder Onlinedurchsuchung.

diskus: Was muss für diesen Straftatbestand erfüllt sein?

Was hierfür erfüllt sein muss, ergibt sich aus den §§ 89 a ff. StGB. Hierin heißt es „Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat […], die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.“ Dies kann sehr schwierig nachzuweisen sein, da der “Bestand des Staates” in Gefahr sein muss. Da die Normen aber vergleichsweise neu sind und 2015 nochmals geändert wurden, kann eine abschließende Bewertung, wie sie in der Praxis angewendet werden, schlecht beurteilt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits Einschränkungen vorgenommen und eine Konkretisierung für notwendig erachtet. Für eine staatsgefährdende Straftat nach § 89a muss aber das Ziel und der Zweck die Beeinträchtigung des Staates sein, insofern ist die politische Gesinnung von Bedeutung. Das ist teilweise aber schwierig zu beurteilen und auch sehr spekulativ, ob diese Staatsgefährdung vorgelegen hätte.

diskus: Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung von Franco A.? Gibt es vergleichbare Präzedenzfälle?

Bisher sind es vor allem Verfahren im Kontext des Islamismus gewesen, die diesbezüglich angeklagt wurden. In der Presse waren beispielsweise Fälle bekannt, in denen Personen zur Ausbildung in ein sogenanntes Terrorcamp ausreisen sollten oder Gelder für solche Organisationen gesammelt haben (§ 89 c StGB). Auch die Planung von Anschlägen fiel schon hierunter.

Vom Sinn der Vorschrift her, dürfte der Fall Franco A. nach Anklageschrift diesen Tatbestand erfüllen. Die Frage ist, ob diese sich so bestätigt, was momentan jedoch so zu sein scheint. Strittig wird aber sein, ob wirklich der Bestand des Staates in Gefahr war.

diskus: Franco A. setzt sich seit Prozessbeginn stark in Szene und ist auch im Gerichtssaal sehr redselig, wie auch in unseren Prozessberichten deutlich wurde. Das scheint ein riskantes Verhalten zu sein für jemanden, dessen politische Gesinnung im Prozess relevant ist. Wie schätzt du das ein?

Die Frage ist, welches Ziel der Angeklagte verfolgt. Will er überhaupt einen Freispruch oder will er sich nur selbst in Szene setzen? Bei Anders Breivik haben wir einen Nazi-Terroristen gesehen, der seine Taten offen zugegeben hat und seine Gesinnung offen zur Schau gestellt hat. Andere Nazis – wie im Fall Fretterode – behaupten die anderen hätten angefangen und sie seien die wahren Opfer.

Ebenso könnte Franco A. der Meinung sein, sein Handeln wäre legitim und gerechtfertigt und daher sei er entweder nicht zu bestrafen oder das Gericht sei irrelevant, weil eine „höhere Instanz“ auf seiner Seite wäre. Ähnliches sehen wir häufiger bei Nazis oder Reichsbürgern. Manche Nazis sehen ein Urteil auch nur als Bestätigung der korrupten BRD-GmbH“, die folgerichtig handelt und nur die eigene Telegram-Gruppe ist der Maßstab. Würde ein Gericht sie freisprechen, wäre ihre ganze Argumentation ja auch hinfällig.

Es kommt hier aber wirklich darauf an, was Ziel der Verteidigung ist. Dass Flüchtlinge nach Deutschland kommen und daher ein Anschlag notwendig sei, wird das Gericht auf keinen Fall so sehen und trotzdem haben er und die Verteidiger dies vorgebracht. Ich vermute, er sieht sich im Recht und wird ohnehin kein Urteil erwarten, welches er für gerecht hält.

diskus: Oft wird rechte Gesinnung in Gerichtsprozessen unterschätzt oder außenvorgelassen. Kann man es als politischen Fortschritt werten, dass die Gesinnung in diesem Prozess und in der Anklageschrift anerkannt wird?

Ich würde sagen bei großen Verfahren, in denen es um viel geht und öffentlichkeitswirksamen verhandelt wird, ist glaube ich angekommen, dass von Rechten eine Gefahr ausgeht. Das Problem sehe ich eher bei kleinen Gerichten wie Amtsgerichten. Da spielt es oft überhaupt keine Rolle. Da können sie sich immer darauf ausruhen, dass es für die Verhandlung irrelevant ist, was sie bei diesem Terrorparagraphen nicht können. Hier geht es um eine staatsgefährdende Straftat, da muss eine politische Komponente enthalten sein und das muss sie bei einer Körperverletzung nicht.

Dr. Jannik Rienhoff ist Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Strafverteidigung in der Kanzlei Stein • Schmeltzer • Dr. Rienhoff in Marburg. Er ist Lehrbeauftragter für Strafrecht, Jugendstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Marburg und hat zum Themenkomplex Terrorismusstrafrecht verschiedene Aufsätze veröffentlicht.