Zuerst erschienen bei der Allgemeinen Zeitung.

Mainz. Die Athener Allee liegt trotz ihres großspurigen Namens am äußersten Stadtrand von Mainz. Hier, im hintersten Winkel des Gewerbegebiets des Stadtteils Hechtsheim gelegen, gut versteckt auf dem umzäunten Betriebshof zweier Autowerkstätten, hat unter der Hausnummer 6 das „Zentrum Rheinhessen“ seinen Vereinssitz. Es ist ein unscheinbarer, kleiner Gebäudewürfel. Dahinter beginnt das freie Feld. Die Fenster im Erdgeschoss des Vereinssitzes sind mit Sichtschutzfolie abgeklebt, die Jalousien im Obergeschoss zugezogen. Vor der Eingangstür wacht eine Überwachungskamera. Nichts deutet von außen darauf hin, dass hier offenbar die AfD dabei ist, einen zentralen Standort der Neuen Rechten in Westdeutschland zu etablieren.

Zentrum Rheinhessen: Ein „Anlaufpunkt für Patrioten“?

Erst wenn man sich der Eingangstür nähert, gibt es erste Anzeichen dafür. Auf dem Briefkasten stehen gleich mehrere Anschriften. Neben dem AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz haben hier auch die AfD-Politiker Damian Lohr (rheinland-pfälzischer Landtagsabgeordneter) und Sebastian Münzenmaier (Mainzer Bundestagsabgeordneter) ihre Wahlkreisbüros. Wie auf dessen Internetseite zu lesen ist, wurde das Zentrum Rheinhessen im April 2022 eröffnet. Als ein „Anlaufpunkt für Patrioten und Konservative in Rheinland-Pfalz“, wie er schreibt.

Doch gräbt man tiefer, werden fragwürdige Verbindungen des AfD-nahen Vereins sichtbar. Zu verfassungsfeindlichen Organisationen. Zu völkischen Rechtsextremen, gerade aus Ostdeutschland. Misbah Khan, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus dem rheinland-pfälzischen Wahlkreis Neustadt-Speyer, beobachtet die Aktivitäten des Zentrums bereits seit längerer Zeit. Sie ist sich sicher: „Das Zentrum Rheinhessen ist mehr als ein einfaches Wahlkreisbüro. Hier trifft man sich fernab der Öffentlichkeit, knüpft Kontakte in die rechte Szene und baut seinen Einfluss aus.“

Im gemeinsamen Registerportal der Länder wird das Zentrum Rheinhessen unter der Vereinsnummer VR 41730 geführt. Aus dem aktuellen Registerauszug geht hervor, dass der Verein 2017 gegründet worden ist. Seinen Vorstand bilden: Andreas Geißler (Vorsitz), Carsten Propp (Stellvertreter) und Stephan Stritter (Schatzmeister). Wie die Stadtverwaltung Mainz auf Anfrage bestätigt, saß Stritter von 2009 bis 2011 für die als rechtsextrem eingestufte Partei „Die Republikaner“ im Mainzer Stadtrat. Inzwischen ist er AfD-Stadtratsmitglied.

Propp und Geißler sind ebenfalls ehemalige Mitglieder der Republikaner. Laut Unterlagen der Stadt Wiesbaden standen beide unter anderem 2001 bei der Wahl des Ortsbeirats des Wiesbadener Stadtteils Mainz-Kostheim auf der Wahlliste der Republikaner. Eine Konstellation, die Grünen-Politikerin Khan besorgt: „Rund um das Zentrum Rheinhessen gibt es Verbindungen in ein zutiefst rechtsextremistisches Milieu. Mainz ist eine junge und weltoffene Stadt, wenn sich hier Rechtsextremisten treffen, hat das einen großen symbolischen Stellenwert in der rechten Szene.“

Verbindungen zum rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“

Und es gibt weitere Verbindungen. Dieser Zeitung liegt ein Auszug der ursprünglichen Vereinssatzung des „Zentrum Rheinhessen“ vor. Unter Paragraf 13 „Gemeinnützigkeit“ ist dort festgehalten, dass bei einer Vereinsauflösung sämtliche Vermögenswerte dem Verein „Institut für Staatspolitik“ aus Sachsen-Anhalt zugutekommen sollten. Das Institut für Staatspolitik wurde im Jahr 2000 vom deutschlandweit bekannten Rechtsextremen Götz Kubitschek gegründet. Der Verein gilt in Ostdeutschland als eine der zentralen Organisationen der Neuen Rechten zur Rekrutierung völkischen und rechtsradikalen Nachwuchses. Eine Art Kaderschmiede. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Landesverfassungsschutz Sachsen-Anhalt stufen daher die Gruppierung seit diesem Jahr als gesichert rechtsextrem und verfassungsfeindlich ein. Rund um das Zentrum Rheinhessen gibt es Verbindungen in ein zutiefst rechtsextremistisches Milieu.

Ebenfalls als gesichert rechtsextrem wird vom Verfassungsschutz der sächsische Verein „Ein Prozent“ bezeichnet. Der Verein richtet sich mit radikalen und völkischen Aussagen gezielt gegen die deutsche Einwanderungspolitik. Als Leiter des Vereins gilt der Dresdner Verleger Philip Stein, der zudem laut Auszug im Vereinsregister auch Gründungsmitglied des Zentrums Rheinhessen ist. Wie aus dem Auszug hervorgeht, wird Stein nach der Vereinsgründung 2017 einige Zeit als Vize-Vorsitzender des „Zentrum Rheinhessen“ geführt, 2020 wurde er vom rheinland-pfälzischen AfD-Politiker Alexander Jungbluth abgelöst.

Rechtsextremer Verein bewirbt Zentrum Rheinhessen als Ort „für den Widerstand“

Die Verbindung zwischen dem „Zentrum Rheinhessen“ und „Ein Prozent“ besteht aber nach wie vor. Auf der „Ein Prozent“-Internetseite wird seit September offensiv für das Zentrum geworben – als eine Art „Freiraum“ für Patrioten, als „Zentrum für den Widerstand“. Weitere westdeutsche „Freiräume“ befinden sich laut Vereinsseite in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und Steiermark (Bayern). Was genau mit dem „Zentrum für Widerstand“ gemeint sein könnte, zeigt sich, wenn man die Gästeliste der bisherigen Veranstaltungen im „Zentrum Rheinhessen“ studiert. So war unter anderem im November 2022 René Aust als Redner geladen, zu einem europapolitischen Abend.

Aust ist Landtagsabgeordneter der AfD Thüringen – also des Landesverbandes von Björn Höcke. Die Thüringer Höcke-AfD wird vom Verfassungsschutz auch als „erwiesen rechtsextrem“ eingeordnet. Ebenfalls als Referentin zum Thema Europa war Irmhild Boßdorf geladen, AfD-Politikerin aus Nordrhein-Westfalen. Boßdorf hatte in diesem Sommer für Schlagzeilen gesorgt, weil sie in einer Wahlrede von einer „millionenfachen Remigration“ in Deutschland sprach. Schlagworte, die auch die Identitäre Bewegung immer wieder benutzt. Diese Bewegung wiederum gilt als Sammelbecken für Rechtsextreme und wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Als führende Köpfe hinter dem Zentrum Rheinhessen gelten die Mainzer AfD-Politiker Münzenmaier und Lohr. Letzterer war früher Bundesvorsitzender der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternativen (JA), und lange Zeit Schatzmeister des Vereins. Mit all den nachweisbaren Verbindungen zur rechtsextremen Szene konfrontiert, antworten Lohr und Münzenmaier: „Das Zentrum Rheinhessen ist ein demokratischer Ort des freien Meinungsaustauschs“, dies könnten Besucher selbst bei vielen öffentlichen Veranstaltungen hautnah miterleben. Die beiden Politiker kämen im Zentrum „lediglich unserem Auftrag als gewählte Abgeordnete nach“.

Sebastian Münzenmaier sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag.

Sebastian Münzenmaier sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag.

Die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz“ beobachtet die Entwicklung in Mainz ebenfalls seit längerer Zeit. Auf Anfrage heißt es: „Wir erleben das Zentrum Rheinhessen als Versammlungsort der extremen Rechten, das die AfD als Fassade einer demokratisch legitimierten Partei nutzt.“ Im August erst veranstaltete die JA ihre zehnjährige Jubiläumsfeier im Mainzer Zentrum. Die AfD-Nachwuchsorganisation wird seit April 2023 vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.

Die Neue Rechte

Die nationalkonservative, rechtspopulistische und auch teils rechtsextreme Szene in Deutschland professionalisiert sich – und sammelt sich seit geraumer Zeit unter dem Begriff „Neue Rechte“. Laut Definition der Bundeszentrale für politische Bildung wird unter dem Begriff „eine geistige Strömung verstanden, deren Ziel die intellektuelle Erneuerung des Rechtsextremismus ist“. Als Abkehr zu den Alt-Rechten mit Springerstiefeln und Glatze. Geprägt wird die Szene stattdessen durch das Burschenschaften-Milieu, von jungen Intellektuellen mit einer Mischung aus rechtsextremistischen und stark konservativen Ansichten.

Wesenskern der Neuen Rechten ist es, dass sie mittlerweile nachhaltige Strukturen schafft, sich in Netzwerken organisiert und austauscht – wie im „Zentrum Rheinhessen“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt, dass diese Netzwerke mit unterschiedlichen Strategien versuchen, „teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen“.

Auch die Gründer rund um das „Zentrum Rheinhessen“ sind im Milieu der Burschenschaften zu verorten. Den Mainzer AfD-Politikern Sebastian Münzenmaier und Damian Lohr wird eine enge Nähe zur neurechten Burschenschaft Germania Halle zu Mainz nachgesagt. Philip Stein, sächsischer Rechtsextremist und Gründungsmitglied des Vereins um das Zentrum, wird der beschlagenen Marburger Burschenschaft Germania zugeordnet. Zudem war er von 2017 bis 2020 Pressesprecher der Dachorganisation „Deutsche Burschenschaften“.

Auf die Frage, ob das „Zentrum Rheinhessen“ eine zweite völkische Kaderschmiede werden könnte, vergleichbar mit dem Institut für Staatspolitik, antwortet die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“: „Der Begriff Kaderschmiede ist zwar berechtigt, greift zur Beschreibung jedoch zu kurz. Eher haben sich hier Netzwerker der extremen Rechten einen Rückzugsort geschaffen, den sie beliebig nutzen können.“ Laut Einschätzung der Beratungsstelle dürfte der Fokus der Netzwerker im Zentrum über strukturelle Parteiarbeit hinweg „auch Umsturzphantasien der Neuen Rechten einbeziehen“. Und das im Gewerbegebiet am äußersten Rand von Mainz.