21. Juni 2023, gefunden bei Exif Recherche

Zwischen Winter 2019 und Herbst 2022 erschienen insgesamt 75 Folgen des Podcasts «Rechtsausleger». Die beiden Macher Erik Edmund Welne und Nils Bastian Andersen waren eigentlich darauf bedacht unerkannt zu bleiben und nicht viel Persönliches über sich Preis zu geben. Denn in der vermeintlichen Anonymität ihres Podcast präsentierten sie blanken Antisemitismus, Rassismus, Frauenhass und Verschwörungserzählungen und offenbarten darüber ihr geschlossenes und gefestigtes neofaschistisches Weltbild. Manches von dem, was die beiden im «Rechtsausleger» und in ihren Social-Media-Kanälen erzählten, sollte auch die Staatsanwaltschaft interessieren.

Doch offenbarten sie im Gespräch miteinander und mit ihren Gästen genug, um sie eindeutig identifizieren zu können. Die Beteiligung von Nils Andersen wurde bereits Anfang 2021 von der Initiative Achtsegel öffentlich gemacht. Die beiden gehören zum Kreis der AfD-Jugendorganisation «Junge Alternative für Deutschland» (JA) in Frankfurt. Andersen war fast vier Jahre im hessischen Landesvorstand der JA gewesen. Welne hielt sich hingegen von Parteifunktionen fern. Das aus gutem Grund: Er ist Investment-Manager in der Intermediate Capital Group, einem großen internationalen Unternehmen für Finanzdienstleistungen.

Der Podcast zeigt einmal mehr das Menschen verachtende Weltbild der AfD Jugend. Er ist bis heute über diverse Plattformen zugänglich, zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung findet er sich unter anderem noch im Angebot von Apple Podcasts und Deezer.

Das Format Podcast

Podcasts sind Audio-Sendungen, die keinem festen Programm und Rahmen folgen und jederzeit online verfügbar sind. Sie werden überwiegend von gut ausgebildeten Menschen bis 35 Jahre gehört und erschließen damit eine kauffreudige Zielgruppe, die Werbung vor allem dann nicht als störend empfindet, wenn sie von „authentischen“ Influencern als Empfehlung ausgesprochen wird. Mit der steigenden Beliebtheit ist es zunehmend einfacher geworden, eigene Podcasts in guter Qualität zu produzieren und ins Netz zu stellen. Die extreme Rechte hat diesen Trend erkannt, zahlreiche Akteure nutzen Podcasts, um ihre Propaganda beim Bügeln, im Fitnessstudio oder beim Autofahren konsumierbar und anschlussfähig zu machen. Insbesondere bei Gruppen, die sich als intellektuelle Rechte verstehen, hat diese Strategie Konjunktur. Sie wird von ihnen als „Metapolitik“ bezeichnet und zielt darauf ab, das Denken der Menschen abseits von Parlamenten dort zu beeinflussen, wo sie emotional an ein Thema andocken: Literatur, Musik oder eben über Podcasts.

So schießen die extrem rechten Podcasts seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden. Die Pandemie gab dem Format Anfang 2020 einen weiteren Schub. Gerade während der Lockdowns deckten Podcast das Bedürfnis der Menschen nach Kommunikation und vermittelten ihnen das Gefühl sozialer Teilhabe.

„90 Prozent sind unsere Feinde“

Nils Andersen (rechts) beim Bundeskongress der «Jungen Alternative» am 15. Oktober 2022 in Apolda – Bildrechte: Pixelarchiv

Die beiden Frankfurter Erik Welne und Nils Andersen starteten ihr Projekt «Rechtsausleger» im Dezember 2019. Beim Anbieter Podbean, den die beiden primär nutzten, verwendeten sie als Eingangsbild ein Foto der Frankfurter Hauptwache inklusive Skyline.

In der ersten Folge des «Rechtsauslegers» erklären sie, dass sie politischen Themen eine Plattform bieten wollen, „die ansonsten im Mainstream untergehen würden“. Direkt im Anschluss führen sie aus, was sie damit konkret meinen. Welne gibt einen Einblick in seine „Zukunftsvorstellungen in einer solch demografisch gespaltenen Stadt“ wie Frankfurt. Für ihn ist der öffentliche Raum Frankfurts „erobert von kulturfremden Menschen, von Menschen nicht deutscher Herkunft“, weshalb er als Ziel und Vision benennt, „das wieder zurückdrehen [zu] können“. Den Faden nimmt Andersen auf und sagt: „Man muss ja ehrlich mit sich sein. Wie kriegt man die weg? Beziehungsweise wie schafft man, dass Leute nicht mehr hier hin kommen wollen?“. Im Anschluss an diese Aussagen wird eine Stelle genannt, wo man eine Antwort auf diese Fragen finden könne: „die Jugendorganisation der AfD“, die «Junge Alternative». Die JA ist die politische Heimat der beiden. Nils Andersen wurde am 26. Januar 2019 auf dem JA-Landeskongress in Bad Homburg zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der «Jungen Alternative Hessen» gewählt, auch Welne war auf diesem Kongress anwesend. Beide traten im Podcast nur mit ihren Vornamen auf, um unerkannt zu bleiben. Doch sammelten sich im Laufe der Zeit so viele Informationen über ihre Aktivitäten, Berufe, aktuellen und ehemaligen Wohnsitze an, dass sie ohne jeden Zweifel zu identifizieren sind. Auch werden sie von Arbeitskolleg*innen und ehemaligen Freund*innen an ihren Stimmen erkannt.

Der Frankfurter Investment-Manager Erik Edmund Welne

In der dritten Folge bezeichnet Welne die „Völker des mittleren Ostens“ als „relativ primitiv“ und „Nomadenvölker“. Ihm gefällt das NPD-Wahlplakat mit dem Slogan „Mehr Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“, er würde den Wahlkampfspruch gerne bei der AfD sehen (Folge 52). Frauen bezeichnet er verächtlich als „Femoids“, die sich nicht für Politik interessieren sollten, da sie grundsätzlich dumm seien (Folge 3). Der Begriff „Femoid“ kommt aus der misogynen Incel-Subkultur, er ist eine Wortschöpfung aus „Female“ und „Android“ und setzt Frauen voller Absicht mit Gegenständen gleich. Auch spricht er darüber, dass der Anteil „weißer, nicht-jüdischer Männer“ an der an der US-amerikanischen Eliteuniversität Harvard bei zehn Prozent läge, woraus er schließt: „90 Prozent sind unsere Feinde“ (Folge 66). Die Corona-Pandemie ist für ihn eine „Fake-China-Seuche“ (Folge 46) und die Grünen nennt er die „NWO-Partei schlechthin“ (Folge 57). NWO ist die Abkürzung für Neue Weltordnung/New World Order. In der Rechten ist dies ein antisemitischer Verschwörungsmythos, nach dem eine jüdisch gedachte oder beschriebene „globalistische Elite“ eine totalitäre Weltregierung errichten würde. Nils Andersen erklärt zynisch, dass er bei einem Besuch im jüdischen Museum in Frankfurt „auf jeden Fall zwei, drei Tränchen […] verdrücken“ würde (Folge 38). Friedrich Merz ist für ihn ein „Globohomo-Typ“ (Folge 48). In typischer Reichsbürgermanier bezeichnet er die Bundesrepublik als „noch besetzt“ (Folge 3) und für Welne ist sie ein „nur halb souveränes Land“ (Folge 36). Auch will sich Welne wegen „möglicher juristischer Folgen“ nicht zum Tag der Befreiung äußern (Folge 21). Andersen sieht die AfD als „die letzte demokratische Instanz, die dieses Land wieder auf den richtigen Kurs bringen kann“ bevor sich „eine Strömung entwickeln“ werde, „die dann halt nicht mehr auf den demokratischen Grundfesten steht“ (Folge 16). Erik Welne legt den Zuhörenden darüber hinaus nahe, sich „gute Waffen“ zu beschaffen (Folge 9).

In späteren Folgen kamen die Co-Hosts Philipp und Lars hinzu. Philipp spricht vom „Schuldkult“ und dem „in Anführungszeichen Völkermord“ an den Herero und Nama (Folge 58). Auch schwadroniert er über die „Coronakrise“, die einen „Great Reset-Plan“ vorantreibe (Folge 49). Lars amüsiert sich über die Vorstellung, dass mal jemand mit einem Lastwagen in eine Pride-Parade „reinfahren“ würde (Folge 64). Auch über Vergewaltigung wird gewitzelt (Folge 31) und regelmäßig nutzen die Teilnehmenden und Macher des Podcast das N-Wort (u.a. Folgen 53, 66 und 72).

Das Netzwerk von JA und Identitären

Patrick Pana (3.v.l.) und die beiden rheinland-pfälzischen AfD-Aktivisten Patrick Schwenz (4.v.l.) und Benjamin Steiner (3.v.r.) zeigen eine Geste, die dem „OK“-Handzeichen nachempfunden ist, in der extremen Rechten jedoch „White Power“ symbolisiert. AfD-Veranstaltung, 1. Mai 2023 in Mainz

Welne und Andersen waren nicht die einzigen Mitglieder der hessischen «Jungen Alternative», die in dem Podcast auftraten. Schon in frühen Folgen (17 und 18) war Patrick Pana zu Besuch. Der Wiesbadener war zu diesem Zeitpunkt wie Nils Andersen stellvertretender Landesvorsitzender der JA Hessen. Im Oktober 2022 wurde er erneut in den Landesvorstand gewählt, nun als Rechnungsprüfer.

Eine Gruppe der JA Hessen posiert am Rande eines Corona-„Spaziergangs“. Vier von ihnen waren in der Telegram-Gruppe „Rechtsausleger Stammtisch“. Dominik Asch (1.v.l.), Dominik Baumgart (2.v.l.), Manuel Wurm (2.v.r.), Nils Andersen (1.v.r.).

In einer zum Podcast gehörenden Telegram-Gruppe namens «Rechtsausleger Stammtisch» befanden sich weitere Mitglieder aus dem Kern der JA, unter ihnen Manuel Wurm aus Rödermark (Landkreis Offenbach), Dominik Baumgart aus Rendel (Wetteraukreis) und Dominik Asch aus Schöneck (Main-Kinzig-Kreis). Dem ein oder anderen war offensichtlich klar, auf welch dünnen Eis sie sich dort bewegten. So trat Wurm am 17. Oktober 2022 aus dem „Stammtisch“ aus – just am Tag nachdem er zum stellvertretenden Bundesschatzmeister der JA gewählt worden war. Asch ist seit Oktober 2022 Landesvorsitzender der JA in Hessen, auch er ist nun nicht mehr in der Stammtisch-Gruppe. Baumgart hingegen blieb der Gruppe treu. Sie hat aktuell 25 Mitglieder, ist jedoch seit Monaten inaktiv.

Auch Protagonisten der neofaschistischen «Identitären Bewegung» (IB) waren im Podcast zu Gast. In Folge 18 ist neben Patrick Pana auch Martin Sellner, ehemaliger führender Kader der IB in Österreich dabei. In anderen Folgend traten die IB-Aktivisten Nils Wegner (Folgen 30, 45 und 76) oder Roland Moritz aus Österreich auf (Folgen 40 und 50). Der identitäre Musiker «RetroRebel», stellte dem Podcast nach etwas mehr als 40 Folgen und einem Gastauftritt ein neues Intro zur Verfügung.

Wohin geht die Reise?

Nils Andersen schied im Oktober 2022 nach fast vier Jahren aus dem Landesvorstand der hessischen JA aus. Im selben Monat erschien die letzte Folge des «Rechtsauslegers», seitdem herrscht Stille auf den Telegram-Kanälen des Podcasts. Nur der offizielle Twitteraccount des Podcasts @Rechtsausleger1 war noch Anfang 2023 rege aktiv. Andersen hatte im Podcast zuvor mehrfach angegeben, den Account allein zu betreiben (Folgen 15, 46 und 74).

Tweet von Nils Andersen am 12. März 2023. Die Nachricht verschwand nach kurzer Zeit, offenbar nachdem Andersen klar geworden war, dass diese Aussage eine Straftat darstellt.

Noch am 12. Februar 2023 wurde dort in einem Tweet veröffentlicht: „Sie sollen sich hüten. Einmal wird unsere Geduld zu Ende sein und dann wird den Juden das freche Lügenmaul gestopft werden“. Von den Personen, die dem Account auf Twitter folgen, kam keine Kritik zu dieser Aussage. Schließlich wurde er von Twitter gesperrt.

Nach seinem Ausscheiden aus dem hessischen JA-Vorstand bewegt sich Andersen weiter im Kreis der hessischen JA-Führung. Ob er einen Posten in der Mutterpartei anstrebt, ist derzeit ebenso wenig abzuschätzen wie der Umgang der Partei mit seinen antisemitischen Ausfällen. Im Gegensatz zu Andersen hatte Erik Welne bisher keine öffentlichen Funktionen in der JA oder AfD ausgeübt. Sein Fokus lag eindeutig auf seiner beruflichen Karriere, für die ein Engagement in einer extrem rechten Gruppe nicht förderlich sein dürfte. Nach eigenen Angaben hatte er an der University of St. Andrews in Schottland Economics studiert und war danach über fünf Jahre als Associate bei der Investmentgesellschaft Muzinich & Co tätig. Im «Rechtsausleger» hatte er mehrfach Andeutungen über seinen Beruf und sein offensichtlich üppiges Gehalt gemacht. Ihm war klar, dass er dort keine Anlagetipps geben durfte, durch die Blume tat er es dennoch und betonte dabei, dass diese Aussagen ja kein „investement advice“ seien (Folgen 49, 55 und 56). Beständig ließ er sein Upperclass-Dasein heraushängen. Er protzte damit, was und wen er alles in der „Senator-Lounge“ der Lufthansa beobachtet habe (Folge 3) und er wollte Interna über Friedrich Merz aus dessen Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock Deutschland kennen (Folge 4). Ob Welne aktuell Mitglied der JA und/oder der AfD ist, ist nicht bekannt. Im Juni 2022 hatte er seinen letzten Auftritt im «Rechtsausleger». Im August startete er gemeinsam mit Lars und Philipp, den ehemaligen Co-Hosts vom «Rechtsausleger», ein neues Podcast-Projekt namens «The Young Patricians». Einen weiteren Monat später, im September 2022, begann Welne laut seines LinkedIn-Profils einen neuen Job als „Institutional Sales Manager“ in der Frankfurter Niederlassung der britischen Investmentgesellschaft Intermediate Capital Group (ICG).

Tweets von Erik Welne im Jahr 2022. Hier offenbart er unverblümt sein Weltbild aus Rassismus, Antisemitismus und NS-Verherrlichung. Das Kürzel ZOG steht für „Zionist Occupied Government« (Zionistisch besetzte Regierung)

Macht durch Geld

Mit seinem neuen Podcast-Project «The Young Patricians» fährt Welne nun ein Konzept, das stärker seinem snobistischen Lifestyle entspricht. Dem Titel bezieht sich auf die Patrizier, die von der römischen Antike bis in neuzeitliche Gesellschaften eine herrschende Oberschicht bildeten, vergleichbar einer Aristokratie. Welne verknüpft seinen Anspruch auf Macht und Überlegenheit mit Besitz und Geld. Seiner extrem rechten Linie bleibt er treu. Schon zu Beginn der ersten Folge stellt er das demokratische System in Frage: „Überleg dir nochmal, wie wahnsinnig dieser Demokratiegedanke ist […] wenn man davon ausgeht, dass jeder einzelne […] vernunftbasierte Entscheidungen trifft“. Daran anschließend diskutieren er und Co-Host Philipp darüber, warum der Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 gescheitert ist. Natürlich ist man der Meinung, dass ein „Deep State“ die US-amerikanische Präsidentschaftswahl gefälscht und Trump um das Präsidentenamt betrogen habe. Für Philipp ist der Erfolg der Revolution am 6. Januar 2021 nur deshalb ausgeblieben, da der Mob vor und im Kapitol keine Führung durch eine „Gegenelite“ gehabt habe, die Trump zuvor innerhalb der staatlichen Institutionen und gegen den „Deep State“ hätte installieren müssen.

Die Situationsanalyse übertragen die drei Podcastmacher auf sich selbst. Sie wollen – allen voran Erik Welne – in der Wirtschaft Karriere machen, um nach dem Umsturz staatliche Führungspositionen übernehmen zu können. Welne spricht in der ersten Folge des neuen Podcasts davon, dass er sich gerne in eine Welt hinein träume, in der eine Geheimelite aus Wirtschaft und Industrie darauf hinarbeite, den Staat „mal ordentlich zu reformieren“. Dies sei allerdings nur möglich, wenn man sich nicht in Projekten wie der «Jungen Alternative» und der «Identitären Bewegung» als Person verbrenne. Denn irgendwann habe man eine „gewisse Biografie“, die „sich nicht mehr zurückdrehen“ lasse.

Eine solche Biografie hat der Investment-Manager Erik Welne aus Frankfurt am Main nun ganz gewiss.