Zuert erschienen bei der Frankfurter Rundschau.

Die Bundesregierung berichtet auf parlamentarische Anfrage über das Ausmaß der rechtsextremen Bedrohung rechtsextremer Gewalt.

Frankfurt – Als die Behörden im Dezember die mutmaßlichen Umsturz-Pläne der „Reichsbürger“-Gruppierung um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß auffliegen ließen, machten deren „Feindeslisten“ deutlich, wie ernst die Bedrohung zu nehmen ist. Die Bundesregierung hat nun auf Anfrage von Martina Renner und anderen Linken-Abgeordneten Auskunft darüber gegeben, wie groß das Ausmaß dieser Bedrohung aus der rechtsextremen und der „Reichsbürger“-Szene ist.

Danach sind dem Bundeskriminalamt (BKA) 16 derartiger „Informationssammlungen“ aus der rechten Szene bekannt geworden. Darüber hinaus seien in zwei weiteren Fällen einschlägige Listen in Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) aufgetaucht – hier dürfte es sich um die Ermittlungen gegen Gruppierungen der „Reichsbürger“ handeln. In vielen Fällen seien aktive oder ehemalige Angehörige von Polizei und Bundeswehr unter den Beteiligten gewesen.

„Feindeslisten“ von Rechtsextremen in Deutschland: Ein Datensatz weit verbreitet

Bei Angehörigen der Gruppe um den mutmaßlichen Rädelsführer Reuß fanden die Sicherheitsbehörden drei Datensammlungen: eine mit hochrangigen Bundes- sowie Landespolitikerinnen und -politikern, eine zweite mit Politiker:innen und deren Wahlkreisbüros sowie Namen und Anschriften von Ärztinnen und Ärzten und deren Praxen. „Eine dritte Sammlung enthält Daten zu Personen, die im näheren Umkreis des Verfassers wohnhaft waren, und die in verschiedene ,Gefährlichkeitsstufen‘ eingeteilt wurden“, heißt es weiter in der Antwort der Regierung.

Wie ernst solche Bedrohungen zu nehmen sind, hat auch der Fall des suspendierten Bundeswehr-Offiziers Franco A. gezeigt, der im vergangenen Jahr als rechtsradikaler Terrorist verurteilt wurde. Er soll den früheren Außenminister Heiko Maas (SPD) oder die Grünen-Politikerin Claudia Roth als Anschlagsopfer gesehen haben.

Reichsbürgerfälle in Deutschland: Datensatz bei verschiedenen Gruppen gefunden

Bei ihm und einem Kompagnon wurden vier Listen gefunden. „Bei den betroffenen Personen und Einrichtungen handelt es sich um politische Vertreterinnen und Vertreter jüdischer und muslimischer Glaubensgemeinschaften in Deutschland, Journalistinnen und Journalisten, Publizistinnen und Publizisten, Politikerinnen und Politiker, Angehörige politischer Parteien, Rockergruppierungen, Angehörige der rechten und linken Szene sowie – aus Sicht des jeweiligen Verfassers – um flüchtlingsfreundliche Initiativen, Stiftungen und Vereine“, zählt die Regierung auf.

Im Umlauf sind auch weit umfassendere Datensammlungen. Besonders verbreitet ist eine Liste mit rund 25.000 Namen, die aus den gehackten Daten eines linken Internetversandhandels stammt. Sie wurde etwa bei einem Verdächtigen gefunden, der sich als „Atomwaffendivision Deutschland“ bezeichnete, ebenso bei der Nazi-Gruppierung „Knockout 51“. Auch bei Ermittlungen gegen Mitglieder des rechten „Nordkreuz-Netzwerks“ wurde diese Datensammlung gefunden.

Anfrage der Linken legt Methoden von Rechtsextremen und Reichsbürgern offen

Besonders akribisch legten Nazis der Gruppe „Nordadler“, die 2018 aufgeflogen ist, ihre Sammlungen an, wie aus der Antwort auf eine frühere Anfrage der Linken deutlich wird. Ein Beschuldigter habe „Bilddateien von etwa 4000 Personen des öffentlichen Lebens gesammelt“, in diesem Fall habe es sich um Abgeordnete, Musiker:innen, Schauspieler:innen und Sportler:innen gehandelt, ein weiterer Beschuldigter „eine Textdatei mit der Aufzählung von 72 Personen, ebenfalls aus dem Bereich des öffentlichen Lebens“, und schließlich sei „eine handschriftliche Liste von 31 deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments“ gefunden worden.

Die Bundesregierung hatte noch zu Zeiten der Großen Koalition versucht, mit einem Gesetzespaket gegen die Bedrohung vorzugehen. Dazu wurde im Jahr 2021 der Paragraf 126a ins Strafgesetzbuch eingefügt. Danach kann mit zu drei Jahren Haft bestraft werden, „wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts“ Daten einer anderen Person verbreitet und sie damit der Gefahr eines Verbrechens aussetzt.

Umgang mit Reichsbürgerfällen in Deutschland: Gesetzesverschärfung reicht nicht aus

Linken-Politikerin Renner sieht die Vielzahl von „Feindeslisten“ aus der rechten Szene als Beleg dafür an, dass diese Gesetzes-Verschärfung die Bedrohung nicht eindämmen konnte. „Rechte Feindeslisten müssen als Bedrohung verstanden werden“, sagt sie. „Der mit großem Medienrummel eingeführte neue Paragraf begegnet dieser Bedrohung erwartungsgemäß nicht.“ Wichtiger sei, dass die Behörden den Druck auf Netzwerke wie „Nordkreuz“ erhöhten.

Die Abgeordnete aus Thüringen ist dort auch unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt: Am Mittwochmorgen berichtete Renner im sozialen Netzwerk Twitter, dass mutmaßlich von Rechtsextremisten Scheiben ihres Wahlkreisbüros in Eisenach eingeschlagen wurden – bereits zum vierten Mal. Zuvor seien rechte Sticker mit Aufrufen zu Gewalt gegen das Büro und Mitarbeitende aufgetaucht. Zugleich betonte Renner, dass Antifaschist:innen in der Region sich nicht einschüchtern lassen würden. (Pitt von Bebenburg)