Die Genoss*innen von Kritik und Praxis haben einen Text veröffentlicht, der sich kritisch mit der eigenen Gruppengeschichte, insbesondere der Zeit der autonomen antifa [f] auseinandersetzt und hierbei vor allem das Thema Sexismus und Verantwortungsübernahme in den Blick nimmt.

CN: ++++ Triggerwarnung: Der folgende Text setzt sich mit sexualisierter Gewalt auseinander++++

Einleitung

In den letzten Jahren wurden wir auf unterschiedlichsten Ebenen mit sexualisierter Gewalt in unserem Gruppenkontext konfrontiert. Dabei ging es sowohl um einen Fall, der mittlerweile vier Jahre her ist, als auch um weiter zurückliegende Fälle. Viele von uns waren damals noch gar nicht politisch aktiv, geschweige denn in unserer Gruppe organisiert [1]. Demnach lag es in der Verantwortung der wenigen älteren Genoss*innen sich die damaligen Prozesse und den Umgang mit Sexismus und sexualisierter Gewalt zu dieser Zeit wieder bewusst zu machen.

Wir werden im folgenden Text nicht detailliert auf die genauen Fälle und Prozesse eingehen. Vielmehr soll es darum gehen, die zugrunde liegenden Strukturen und wiederkehrenden Narrative unserer Gruppenpolitik kritisch zu betrachten, die dazu beigetragen haben, dass übergriffiges Verhalten und sexueller Missbrauch über Jahre hinweg toleriert und begünstigt wurden.

Auch wenn hier über die zugrunde liegenden Strukturen und Denkmuster gesprochen wird, ist es dennoch wichtig, sich der Tragweite der einzelnen Vorfälle bewusst zu sein. Deswegen sei an dieser Stelle deutlich gesagt: Wir wissen von mindestens zwei Vorfällen, bei denen es um verschiedene Formen sexualisierter Gewalt ging, bei denen die Betroffenen durch psychische Manipulation oder unter der Ausnutzung von Machtgefällen zwischen Jugendantifa und älteren Antifas zu sexuellen Handlungen genötigt wurden.

Viele Strukturen und Gruppen beschäftigen sich derzeit mit Formen der Täterarbeit und diskutieren über Sexismus und unterschiedliche Ebenen sexualisierter Gewalt. Insgesamt haben wir das Gefühl, dass es grundsätzlich ein größeres Bewusstsein für patriarchale Strukturen und sexualisierte Gewalt in der Linken Szene gibt und diese mehr thematisiert werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass patriarchale Verhaltensmuster und bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit im Zusammenhang mit linkem Aktivismus verschwunden wären.

Der nachfolgende Text soll dabei als Debattenbeitrag verstanden werden und möchte versuchen, eine kritische Reflexion über Gruppenprozesse innerhalb der Autonomen Antifa [f] und Kritik und Praxis – aber sicherlich auch vieler anderer Linker Gruppen – zu liefern, in denen sexistisches und mackerhaftes Verhalten kaum thematisiert wurde und letztlich dadurch übergriffiges Verhalten und sexueller Missbrauch über Jahre hinweg toleriert und begünstigt wurden.

Wir können uns auch heute nicht vollständig von patriarchalen Strukturen und Sexismus frei machen. Aber wir versuchen Ebenen der Reflexion einzubauen und möchten euch nun von gemachten Fehlern und ungeeigneten Strukturen zur Bearbeitung sexueller Übergriffe berichten, um gemeinsam zu lernen – und um gemeinsam daran zu arbeiten, unsere Strukturen für FLINTA sicherer zu machen. Dieser Text möchte also durch die Offenlegung gemachter Fehler anderen Strukturen und Gruppen dabei helfen, nicht dieselben zu wiederholen.

Was dieser Text nicht beinhaltet, ist eine Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie wir uns damals mit feministischer Theorie auseinandergesetzt haben. Es könnte eine spannende Frage sein, ob es zwischen dem Theorieverständnis in unserer Gruppengeschichte und fehlenden Reflexionsprozessen einen Zusammenhang gibt.

Um eines an dieser Stelle ganz klar zu sagen: Dieser Text kommt viel zu spät! Der Text ist auch nicht das Produkt einer internen Reflexion, die einfach aus sich heraus stattgefunden hat, sondern wurde im Sommer 2020 durch das Wiederaufkommen nicht beendeter Täterarbeit und durch Prozesse ausgelöst, die nun mehr als 10 Jahre zurückliegen. Seitdem erreichten uns einige weitere Berichte von Betroffenen bezüglich sexualisierter Übergriffe durch ehemalige Mitglieder unserer Gruppe. Um so schockierender war es für uns, dass ehemalige Gruppenmitglieder sich im Sommer 2020 nach wie vor vehement hinter einen Täter stellten. Auch aus diesem Grund möchten wir deutlich sagen, dass wir für alle Betroffenen jederzeit in jeder Form zur Verfügung stehen. Im Namen der aktuellen Gruppe möchten wir uns außerdem bei euch entschuldigen. Wir wissen, dass eine solche Entschuldigung keine Wunden heilt, keine traumatischen Erfahrungen ungeschehen macht. Uns ist es jedoch wichtig, deutlich zu sagen: Das Problem war immer unsere Gruppe und unser Umgang mit sexualisierter Gewalt, mit Sexismus, Mackertum und Patriarchat.

1. Gang-Mentalität und Männlichkeit

Macker bzw. Sexismus-Vorwürfe gab es gegenüber der Antifa [f] nicht grade wenige und auch wenn es eine Farce wäre zu behaupten, dass uns das nicht bewusst gewesen wäre, so waren die Schreibenden dieses Textes über die Flut an Vorfällen, von denen wir in zahlreichen Gesprächen erfahren haben, doch schockiert.

Auch der damaligen Gruppe waren ihre Probleme mit Sexismus und Mackertum zumindest vage bewusst, zu einem vertiefenden Reflexionsprozess kam es allerdings nicht. Nicht selten führten solche Vorwürfe eher zu einer Form der Wagenburgmentalität. Kritik an Einzelpersonen, gerade bzgl. sexistischen Verhaltens, wurde als ein Angriff auf das Kollektiv verstanden, dementsprechend abgewehrt und nicht ernst genommen. Dabei wurden nicht selten eben jene Personen, die Kritik äußerten, verdächtigt, Sexismus und Macker-Verhalten aufzubauschen, um die Gruppe und ihren Politikstil zu diskreditieren. Für Betroffene entstand so der Eindruck einer kaum zu durchdringenden Wand. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch vereinzelt zu Kritik am Verhalten einiger Männer innerhalb der Gruppe kam. Einige Mitglieder (vor allem Frauen) versuchten durchaus eine grundsätzliche Diskussion einzufordern, das scheiterte aber regelmäßig am vorherrschenden Desinteresse. Die Frage, warum ausgerechnet die eigene Gruppe so oft im Mittelpunkt der Kritik stand, wenn es um Sexismus und Männlichkeit ging, wurde nie zum Gegenstand vertiefender Diskussionen innerhalb der Gruppe.

Diese Form der Gangmentalität wurde auf mehreren Ebenen zu einem großen Problem. Sie umgab die Mitglieder der Gruppe mit einem dichten Panzer und wirkte einschüchternd auf alle, die mal wieder genervt waren von dem Auftreten der Gruppe oder einzelner Mitglieder auf einer Party oder Betroffene durch übergriffiges Verhalten wurden. Aber sie wirkte nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Mitglieder der Antifa [f], die auf Partys mit ekelhaften Anmachen, einem gewaltbereiten Habitus oder auch sexualisierten Übergriffen auffielen, konnten sich stets sicher sein, dass die Gruppe sich schützend vor sie stellen würde. So entstand bei uns nicht nur ein Mangel an Reflexion, sondern ein begünstigendes Klima für Sexismus und Männlichkeit. Eine „Boys will be Boys“-Mentalität verschaffte sich phasenweise immer mehr Platz innerhalb der Gruppe und drückte sich untereinander in verharmlosenden Witzeleien über Genosse XY und sein problematisches Verhalten auf der letzten Party oder Veranstaltung aus. Durchaus wurde im Gruppenkontext auch immer wieder mit Ermahnungen und Genervtheit auf solches Verhalten reagiert. Letztendlich aber eben vor allem mit Belustigung und fast immer blieb das Handeln ohne Konsequenzen.

Bei der Betrachtung dieser Gangmentalität sollte klar sein, dass die Antifa [f] sich nicht aktiv für sie entschieden hat. Sie war in unserem Fall das Resultat eines gewissen Politikstils, der geprägt war von der eigenen Selbstverliebtheit und der Vorstellung, in allem immer die Radikalsten und Besten sein zu müssen. Reflexionsräume wurden so eingerissen, was dazu führte, andere Genoss*innen innerhalb der Szene nicht mehr ernst zu nehmen. Natürlich kann ein starkes Zugehörigkeitsgefühl und Zusammenhalt für eine politische Gruppe von enormer Bedeutung sein, gerade gegenüber Nazis und Bullen kann sie stärkend und vertrauensbildend wirken. Auf der Ebene der internen Reflexionsprozesse und innerhalb der linken Szene kann sie allerdings verheerende Auswirkungen haben. Vor allem dann, wenn sie auf grundlegend unreflektierte Vorstellungen von Männlichkeit im Zusammenhang mit politischem Aktivismus und Militanz trifft. Stärke zeigen, „sich gerade machen“, „stabil sein“, das waren entscheidende Kategorien unseres politischen Alltags. Und in gewisser Weise wurden diese Kategorien als intellektueller Leistungsethos auch auf die Theoriearbeit der Gruppe übertragen.

Mit einer solchen Grundlage der politischen Kultur innerhalb unserer Gruppe kam es zu einer fortwährenden Aufwertung von allem, was als männlich empfunden wurde und so zu einer impliziten Abwertung dessen, was vermeintlich als weiblich identifiziert wurde. Damit entsteht eine Erwartungshaltung nach innen, welche durch und durch sexistisch geprägt ist. Aber ein solcher, maskulin geprägter Konformitätsdruck richtet sich eben nicht nur gegen die eigenen Mitglieder, sondern maßgeblich auch nach außen. Wenn solche Formen von Männlichkeit nicht als Problem wahrgenommen werden, bzw. wenn eine Kultur innerhalb einer Gruppe entsteht, in der diese bereitwillig akzeptiert werden, wird diese Gruppe – wie in unserem Fall – nicht in der Lage sein, sexistische und übergriffige Handlungen als solche zu identifizieren und ein Bewusstsein für die eigenen grundlegenden Probleme zu entwickeln.

Männlichkeit, Sexismus und sexualisierte Gewalt gehen also mit Gruppenstrukturen wie der unseren damals ein verheerendes Bündnis ein und bedingen sich gegenseitig.

2. Dominanz in den Köpfen – die fatale Trennung zwischen Privatem und Politischem

Die Antifa [f] nahm über mehrere Jahre hinweg eine dominante Stellung innerhalb der linken Szene in Frankfurt ein. Dabei ist in unserer Gruppe das Gefühl entstanden, „wenn wir es nicht machen, macht es niemand“. Dieses Gefühl führte nicht selten dazu, dass wir bei jeder Aktion versuchten die Verantwortung zu übernehmen. Die Dominanz innerhalb der Szene entsteht vermutlich nicht zuletzt auch immer in den Köpfen der jeweiligen Gruppe und wird zu einer steten Selbstversicherung. Gangmentalität und die Vorstellung, die Einzigen zu sein die etwas auf die Kette kriegen, bilden ein Mindset, welches Kritik schnell beiseite wischt und einen reflektierten Umgang mit der eigenen Position innerhalb der Szene verhindert. Wenn man die Genoss*innen um sich herum letztlich verdächtigt, sich an der eigenen Gruppe ‚abzuarbeiten‘, weil man denkt, dass sie selbst nicht aktionsfähig wären, ist man kaum noch in der Lage über das eigene Verhalten nachzudenken. Kritik von ‚außen‘ wird somit mehr und mehr mit einem Schmunzeln aufgenommen, nicht ernst genommen und in die eigene Selbstwahrnehmung integriert. Dabei wurde Kritik von ‚außen‘ sowohl auf der Ebene der politischen Auseinandersetzung als auch auf der Ebene des Verhaltens der eigenen Mitglieder als unbegründeter Angriff wahrgenommen. Somit wurde jeder Vorwurf schnell als ein Angriff auf das eigene politische Projekt gewertet und unhinterfragt abgewehrt. Die dominante politische Stellung der Antifa [f] ging also Hand in Hand mit dem fehlenden Reflexionsvermögen gegenüber sexistischen Strukturen innerhalb der Gruppe.

Außerdem hatte eine solche Dominanz den Effekt, dass Betroffene von sexistischem Verhalten oder Übergriffen sich zweimal überlegten, ob sie Vorwürfe gegen die Gruppe öffentlich machen wollen. So wissen wir heute, dass einige Genoss*innen Übergriffe durch unsere Gruppenmitglieder nicht öffentlich gemacht haben, da sie Angst hatten, dadurch die politische Arbeit der Gruppe zu gefährden und eventuell sogar die politische Arbeit in der gesamten Linken Szene in Frankfurt lahmzulegen. Das zeigt ein weiteres Mal, mit welchem überheblichen Habitus sich unsere Gruppe umgab.

Wenn eine Gruppe eine dominante Stellung innerhalb einer Szene einnimmt, muss das nicht ihre Schuld oder Ergebnis ihres Bestrebens sein und dass es eine dominante Gruppe in einer Szene gibt, muss auch nicht immer schlecht sein. Wenn dabei allerdings kein Bewusstsein für die Problematik dieser Situation entsteht und darüber hinaus sexistisches Verhalten und Männlichkeit nicht reflektiert werden, kann eine solche Stellung innerhalb der Szene dazu führen, dass Übergriffe nicht thematisiert werden, die Betroffenen von sexualisierter Gewalt jahrelang schweigen und kaum Möglichkeit finden, sich mit dem Erlebten offensiv auseinanderzusetzen.

Kritik am mackerhaften Auftreten oder dem Verhalten auf Partys gab es an unserer Gruppe, wie gesagt, trotzdem zur Genüge. Dass diese allerdings kein Innehalten verursachte, keine Pause, in der sich die Gruppe fragte: „Was ist hier eigentlich los, dass es so oft zu Sexismus-Vorwürfen gegenüber unserer Gruppe kommt?“, hat noch einen anderen Grund. Reflexionspausen oder der vertiefende Umgang mit Sexismus und Übergriffen wurden schon dahingehend abgelehnt, da sie eine Gruppe vermeintlich über einen längeren Zeitraum lähmen könnten und somit dem nächsten Großprojekt im Wege stünden.

Unsere Gruppe hatte über viele Jahre ein hohes Tempo inne, wenn es um Aktionismus und Debattenbeiträge ging. Der beständige Versuch, die nächste Demo noch größer und besser werden zu lassen, führte zu dem Gefühl nie Zeit zu haben, immer gestresst zu ein und auf keinen Fall eine Pause einlegen zu können. Falls Betroffene von Übergriffen den Mut fanden, sich damit an unsere Gruppe zu wenden und einen Prozess bzw. Täterarbeit einzufordern, wurde darüber kaum auf dem Plenum gesprochen. Selbst dann nicht, wenn das explizit von Unterstützer*innen-Gruppen gefordert wurde. Entsprechende Auseinandersetzungen mit den Tätern fanden in Freundeskreisen statt und wurden sorgfältig von der ‚politischen‘ Arbeit getrennt, denn es musste ja immer weiter gehen: Die nächste Aktion musste geplant werden, die nächste Demo stand vor der Tür. So entstand eine fatale Trennung zwischen dem, was als politisch und dem was als privat empfunden wurde und letztlich nichts mit der Gruppe als solche zu tun hätte.

Die Vorstellung, dass der Umgang mit dem eigenen Sexismus nicht politisch sei; dass die Beziehungen, welche wir innerhalb und außerhalb von politischen Gruppen teilen nicht politisch seien, ist höchst problematisch. Nur so kann die Vorstellung entstehen, dass eine betroffenenorientierte Auseinandersetzung mit Übergriffen oder die Reflexion von patriarchalen Gruppenstrukturen hinderlich für die politische Praxis seien. Deutlich und unmissverständlich wollen wir an dieser Stelle festhalten: Es ist das Patriarchat, Mackerverhalten, sexualisierte Gewalt und der Sexismus, die unsere Strukturen lähmen. Täterarbeit und Reflexionsprozesse sind es nicht.

Mit diesem Text wollen wir keinen Schlussstrich unter die Auseinandersetzungen mit der Geschichte unserer Gruppe ziehen, weshalb wir an dieser Stelle noch mal deutlich hervorheben wollen, dass wir immer zu Gesprächen zur Verfügung stehen, auch wenn ihr etwas völlig anders wahrgenommen habt als von uns beschrieben. Zukünftig werden wir versuchen, jede Form der Auseinandersetzung mit Übergriffen und Sexismus ausschließlich betroffenenorientiert zu handhaben. Verantwortungsübernahme und Reflexionsprozesse sollen nie wieder als etwas betrachtet werden, was außerhalb unserer politischen Praxis steht, sondern eben als Teil dieser.

Dafür haben wir angefangen, uns mit den Konzepten Transformative Justice und Community Accountability auseinanderzusetzen. Hier stehen wir noch völlig am Anfang. Vielleicht können diese Ansätze uns dabei helfen, nicht immer nur auf Übergriffe reagieren zu müssen, sondern bei patriarchalem Verhalten und Sexismus anzusetzen, bevor sie ihr gewalttätiges Potenzial entfalten.

Indem wir unseren Reflexionsprozess an dieser Stelle veröffentlicht haben, hoffen wir, dass die gemachten Fehler anderen Gruppen bei ihren Reflexionsprozessen helfen können und diese schneller als wir sexistische und patriarchale Strukturen bei sich erkennen können.


[1]Die Autonome Antifa [f] nannte sich 2014 in Kritik und Praxis – Radikale Linke [f]rankfurt um.