Der folgende Redebeitrag stammt von der 8. März Demo „Feuer und Flamme dem Patriarchat“ und wurde uns zur Veröffentlichung überlassen. Weitere Redebeiträge findet ihr beispielswiese bei der antifaschistischen Basisgruppe.

Liebe Genoss:innen, liebe Kompliz:innen, liebe Freund:innen,
eigentlich wollte ich eine Rede halten zum inhärenten Antifeminismus in autoritären Strukturen und dazu, dass eine antifaschistische Bewegung sich notwendig feministisch positionieren muss, wenn sie den Rechten und Konservativen etwas entgegensetzen will. Aber als ich vor einigen Wochen diese Rede zugesagt hatte, war die Welt tatsächlich noch eine andere. Nicht, dass ich glauben würde, der Krieg in der Ukraine sei die Zäsur, als die er in den bürgerlichen Medien behandelt wird. Kriege und Krisen sind im Kapitalismus so sicher, wie dass die Sonne morgen früh wieder aufgeht. Ich glaube auch nicht, dass das ursprüngliche Thema meiner Rede dadurch obsolet geworden wäre. Ganz im Gegenteil. 

Für uns als feministische Bewegung ist es besonders relevant, sich mit Kriegen und gewaltsamen Konflikten zu beschäftigen. Nicht nur, weil Frauen und Mitglieder der LGBTIQ-Community besonders stark unter Kriegen leiden, nicht nur, weil für sie die Flucht mit größeren Gefahren und stärkerer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und Integrität verbunden ist und auch nicht nur, weil ein autoritäres Regime wie Russland Frauen- und LGBTIQ-Rechte mit Füßen tritt. Sondern auch, weil im Kriegsfall der Ton überall rauer wird. Weil überall männlich konnotierte Tugenden wie Stärke, Robustheit, Mut und Kampfeslust eingefordert werden. Krieg sorgt dafür, dass die Stimmung insgesamt aggressiver wird und dass mehr nach unten getreten wird. Und das trifft vulnerable und marginalisierte Gruppen ganz besonders. Das äußert sich in zunehmendem Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und brodelndem Nationalismus. Daraus entsteht – und das wissen wir als Linke in Deutschland tatsächlich einmal besonders gut – daraus entsteht nie etwas Gutes.

Umso erstaunlicher finde ich einige liberal-feministische Stilblüten, die aktuell zu finden sind. Wenn zum Beispiel eine allgemeine Wehrpflicht gefordert wird, die für Frauen und Männer gleichermaßen gilt – denn wir haben ja 2022 – kann unsere Antwort doch nicht sein, dass sie auch für Menschen mit diversem Geschlechtseintrag gelten sollte. Unsere Antwort muss eine eindeutig antimilitaristische sein: Nein! Eure Kriege führen wir nicht!

Keine von uns wird für eine plumpe Imagination namens ‚Vaterland‘ sterben. Und wenn die ukrainische Regierung die Generalmobilmachung befiehlt, dann muss unsere Forderung sein, dass auch all jene jungen Männer ausreisen dürfen, die gegen ihren Willen in den Krieg gezwungen werden. Denn als Feminist:innen mit emanzipatorischem Anspruch werden wir uns niemals hinter Regierungen und Nationalstaaten stellen. Unsere Solidarität wird immer den Menschen gelten, die für eine bessere Welt kämpfen. Egal, in welcher Geographie sie geboren sind und welchen Pass sie haben.

Unsere Solidarität ist bei den Menschen aus der Ukraine, die grade auf der Flucht sind, die ihr Zuhause verlassen müssen und nicht wissen, wann und ob sie zurück kommen können. Aber auch diejenigen, die aktuell in Russland – im Angesicht heftigster Repressionen – auf die Straße gehen und gegen den Krieg demonstrieren, der angeblich in ihrem Namen geführt wird, auch sie verdienen unsere Solidarität, unseren Zuspruch und unsere Unterstützung. 

In den Feuilletons finden sich aktuell eine Unmenge an Artikeln von liberalen Feminist:innen, die geflissentlich attestieren, Putins toxische Männlichkeit sei Schuld an diesem Krieg. „Wenn er kein weißer cis-hetero-Mann wäre, wäre das alles nicht passiert.“ Mir graust es vor einer solchen Vereinfachung der Geschehnisse. Sicher, Krieg und Männlichkeit hängen eng miteinander zusammen. Diese Erklärung lässt jedoch historische Entwicklungen und eine Vielzahl verflochtener und komplexer Machtverhältnisse und wirtschaftlicher Abhängigkeiten außer Acht, in die auch die EU und Deutschland verwickelt sind. Das Gerede von Putins toxischer Männlichkeit tut so, als wäre er alleine Schuld an diesem Krieg. Kritisches Denken aber müßte es besser wissen!

Wir sollten hellhörig werden, sobald im öffentlichen Diskurs die Grenzen zwischen schwarz und weiß, gut und böse allzu eindeutig gezogen und an einzelnen Individuen festgemacht werden. Das passt zu nahtlos in die Individualisierung politischer Handlungsmöglichkeiten, die der Neoliberalismus uns auftischt und erinnert mehr an das Weltbild von Verschwörungsideolog:innen.
Wir dürfen uns von der Verwobenheit und Komplexität der Herrschaftsverhältnisse, denen wir gegenüberstehen, nicht einschüchtern lassen. Simple und individualisierte Erklärungen werden uns in unserem Kampf für eine andere Welt nicht helfen. Helfen hingegen wird uns eine klare Vorstellung davon, was unsere Ziele und die Ziele unserer Bewegung sind.

Vor einigen Wochen ging ein Bild viral, dass am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz entstand. Es zeigt ca. 30 ältere weiße Männer, die in einem Speisesaal des Bayrischen Hofes gemeinsam zu Mittag essen. Zynisch wurde darüber geschrieben: Wo liegt der Fehler?

Der Fehler, liebe Genoss:innen, liegt nicht darin, dass weder Abstände eingehalten noch Masken getragen wurden. Er liegt auch nicht darin, dass auf dem Bild nicht eine(!) Frau, geschweige denn People of Colour, Schwarze, Queere Menschen oder Trans*Personen zu sehen waren. Natürlich ist es ein Ausdruck eines patriarchalen, rassistischen Systems, dass die Leute an der Macht nach wie vor weiße Männer in ihren 50ern und 60ern sind.

Aber wisst ihr was: der Ruf nach mehr Repräsentation ist eine (identitätspolitische) Sackgasse. Was würde es denn ändern, wenn die Chefs von Wirtschaftsunternehmen diverser wären? Sie würden trotzdem über unsere Köpfe hinweg Entscheidungen treffen, die unser Leben beeinflussen.

Ihr und ich, wir werden trotzdem unsere Arbeitskraft zu Markte tragen müssen, auch wenn unsere Chefin eine Frau ist. Kriege wurden mit einem schwarzen Präsidenten der USA genauso geführt wie mit einer Woman of Colour als Vizepräsidentin. Und denkt ihr, es macht irgendeinen Unterschied, dass Annalena Baerbock Außenministerin ist? Nein.Der Fehler, liebe Genoss:innen, liegt in dem Bild an sich. Denn die Welt, auf die ich hinarbeite; die Welt, die ich als linke Feministin, als kommunistische und anarchistische Feministin schaffen möchte, in dieser Welt würde ein solches Foto gar nicht erst entstehen.

Das große Ziel eines linken, emanzipatorischen Feminismus ist nicht bürgerliche Gleichberechtigung oder mehr Repräsentation in der Wirtschaft. Unser Ziel ist eine klassenlose, herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Ausbeutung, und Unterdrückung. Ohne Abwertung, Gewalt und Krieg. Ohne Machtverhältnisse, an denen wir zu Grunde gehen. Das Ziel eines linken Feminismus ist die Freiheit. Und zwar die Freiheit, in der wir als Menschen endlich zu uns kommen können!