eine Einsendung von Reidi Heichinek

Alle Jahre wieder ist Wahlkampf und alle Jahre wieder hörten wir wochenlang in den Medien nichts anderes als das ständige Getöse der Berufspolitiker*innen, Expert*innen und Wahlprognostiker*innen, die uns die Welt in „Sachzwängen“ und „notwendigen Entscheidungen“ zu erklären versuchten. Doch dieses Jahr war irgendwie anders. Was war anders? Dass die Hetze gegen Migrant*innen, befeuert von einigen Menschenfeinden die mit ihren Autos in Menschenansammlungen fuhren, sowie durch die allzeit bereiten Hetzer*innen von CDU und AfD, die versuchten daraus politisches Kapital zu schlagen, eine neue Qualität erreichte? Dass sich von AfD bis Grüne alle geschlossen einig waren, Migrant*innen seien das Problem und sich in ihrer Abschiebewut und Menschenverachtung zu überbieten? Oder, dass die SPD und in ihrem Windschatten die LINKE gleichzeitig aus genau dieser Situation versuchte Kapital zu schlagen, indem sie den neuen Faschismus heraufbeschwor, dessen letztes antifaschistisches Bollwerk, „die Brandmauer“, durch den Künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz eingerissen wurde?

Wie auch immer. Die radikale Linke sprang mit auf den Zug. Man müsse nun die „Demokratie Verteidigen“, empört sein, nie wieder sei jetzt, taktisch agieren. Recht hatte sie. Taktisch war es klug an den Demokratie Verteidigen Demos teilzunehmen und ihnen einen radikaleren Anstrich zu verpassen denn wie, wenn nicht so, soll es uns gelingen die breiteren Schichten der Gesellschaft zu erreichen und unsere Ideen zu verbreiten? Doch man hatte gemeinhin den Eindruck, dass gerade der letzte Punkt, das heißt, das hochhalten von eigenen Gesellschaftsentwürfen und Perspektiven, kaum zur Geltung kam. Neben einigen begrüßenswerten militanten Aktionen gegen Faschos im Rhein-Main Gebiet war außer in den Aufrufen und Redebeiträgen wenig zu spüren von einer echten Kritik am bürgerlichen Staat, geschweige denn am Wahlkampf an sich als Demokratiespektakel dessen Ergebnis von vornherein feststand. Denn hier liegt der Unterschied zwischen „uns“ und denen die die „Demokratie“ verteidigen wollen, als ein System in dem sie (und oftmals auch „wir“) eine privilegierte Rolle einnehmen und unsere Grundrechte meist noch nicht angetastet wurden. Für viele zum ersten Mal in ihrem Leben während Covid – was das Abdriften großer Teile der bürgerlichen Schichten ins Schwurblermilieu erklärt. Lieber weiter so wie bisher statt Faschismus. Und wer kann da schon widersprechen? Nun, dann unterwarf man sich eben „taktisch“ den bürgerlichen Parteien und begann selber ihren „Wahlkampf“ zu betreiben. Ob tatsächlich Diskussionen darüber stattgefunden haben wie man als Bewegung agieren soll, oder es einem altbekannten Reflex zu verdanken ist, dass man die linken Parteien und Gewerkschaften nicht als politischen Gegner verstand, sondern als Trittbrett für den Sozialismus (irgendwann), lässt sich nur mutmaßen. Die derzeitige Orientierungs- und Perspektivlosigkeit der radikalen Linken ließ in der aufstrebenden Linkspartei, die einige schon längst abgeschrieben hatten, ohne sich jedoch ernsthafte Gedanken über ein „danach“ zu machen, den Hoffnungsträger erkennen der schließlich den Faschismus zumindest ein bisschen abwenden könne. Man wollte also die LINKE über die 5% heben um zumindest eine Oppositionspartei im Parlament vertreten zu sehen und somit den altbekannten Lauf der Dinge noch etwas hinauszögern. In Berlin ließ die Interventionistische Linke (IL) sich sogar dazu herab in roten Westen der Linkspartei von Tür zu Tür zu gehen, in anderen Städten war dies ebenfalls zu beobachten bis hin zum unverhohlenen Aufruf zur Wahl oder gar Eintritt in die Partei. Es ist nicht Ziel dieses Textes zu behaupten, dass solche Zusammenarbeit grundsätzlich falsch sei. Man muss sich aber des eigenen Standpunkts bewusst sein um so eine Aktion unbeschadet und im besten Fall sogar gestärkt zu überstehen. Die Argumente dafür waren überall ähnlich und werden alljährlich wenn es um die Frage geht „Wählen oder nicht“ wiederholt: Die sind die einzigen die gute Anfragen im Parlament stellen; und: die unterstützen so viele gute Projekte mit der Rosa Luxemburg Stiftung (vielleicht ja auch deine Gruppe/Stipendium/Initiative?); oder: auch die kleinen Veränderungen können die Situation der Untersten Schichten der Gesellschaft verbessern – deshalb wähle ich solidarisch mit denen, auch wenn ich eigentlich nicht daran glaube…

Über diese Dinge scheint man sich einig zu sein und erntet stets verständnisvolles nicken, wenn man sie aufs Tablett bringt. Im Angesicht des drohenden Faschismus wird die „Brandmauer“ zur parlamentarischen Linken durch die Linksradikalen eingerissen. Es geht um was Größeres. Schluss mit den Befindlichkeiten. Radikale Gesellschaftsveränderung ist zum Luxus geworden. Ein Schritt den die Grünen bereits vor Jahrzehnten vollzogen haben – und jetzt stecken sie bis zum Hutansatz im Schützengraben… Die Frage bleibt, warum? Warum scheint man sich so sicher zu sein hier eine Perspektive zu sehen? Gibt es nicht genug Gegenbeispiele aus den Landesregierungen an denen die LINKE beteiligt ist? Vom Ausland gar nicht erst zu sprechen. Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und bis vor kurzem noch Berlin oder Thüringen, das sage und schreibe 10 Jahre lang Links regiert wurde. In Berlin führte eine Linke Regierung den Tonfa als Waffe der Polizei ein. Thüringen sah Bodo Ramelow bereits 2023 „am Limit“ was die Aufnahme weiterer Geflüchteter angeht, obwohl das Bundesland verglichen mit anderen Bundesländern weit im unteren Viertel liegt. Auch was Antifaschismus und den Kampf gegen Neonazis angeht sehen wir in Thüringen nicht gerade „blühende Landschaften“. Jetzt haben wir den Salat. Nicht mal einen Monat nach der Bundestagswahl machte der Bundesrat gemeinsam mit den Bundesländern mit linker Regierungsbeteiligung, Bremen und MV, den Weg für Kriegskredite in Billionenhöhe frei. Eine Kritik aus der radikalen Linken bleibt weitestgehend aus.

Weder die LINKE noch irgendeine andere Partei wird uns von unserer historischen Verantwortung befreien, den Faschismus abzuwenden. Helfen können nur wir uns selber. Die Aufgabe der eigenen Souveränität als politisches Subjekt durch das Delegieren der eigenen Verantwortung an gewählte Parteienvertreter*innen ist eine Kapitulation vor eben dieser Verantwortung. Auch wenn wir wenige sein mögen und keine Antworten zu haben glauben. Die Linkspartei hat sie auch nicht und wir haben recht. Wir wollen keinen „woken“ Polizeistaat in dem auch Bullen zum CSD gehen, keinen „grünen Kapitalismus“ und auch keine vermeintlich „soziale Marktwirtschaft“, denn diese ganzen Lügen haben die ganze Misere erst verursacht – sie schlummerte lediglich ein paar Jahrzehnte dank der fleißigen Ausbeutung des globalen Südens und der Natur und des damit verbundenen Wirtschaftswachstums dessen krümel selbst die untersten schichten lange satt hielten. Jetzt treten sie, in einer Zeit der Dauerkrise, wieder hervor in ihrer ungeschönten Brutalität: Krieg, Ausbeutung, Folter. Die Mächtigen werden ihre Machtposition nicht aufgrund von moralischen Werten aufgeben. Sie werden sie mit allen Mitteln verteidigen. Fast alle Großmächte werden heute entweder von autoritären Regimen regiert oder von Regierungen, die unter der Last der aufstrebenden extremen Rechten zu kämpfen haben und eine neoliberale, rassistische und migrationsfeindliche Politik betreiben. Darum wollen wir alles verändern und keinen Stein auf dem anderen lassen. Denn nur so kann es gelingen diesem Kapitel ein Ende zu setzen. Darum: Auf die Barrikaden!