Persönliche Gedanken über den rassistischen Meltdown des „linksliberalen“ Bürgertums nach Silvester in Neukölln.

Das neue Jahr begann unmittelbar mit einem Knall, auf den man gut hätte verzichten können. Kaum war der Kater von Silvester ausgeschlafen, wurde man an jeder Stelle damit konfrontiert, was für ein schlimmes Problem seinesgleichen doch sei. Die letzten Tage waren für von Rassismus Betroffene ein Spießrutenlauf, bei dem man nur verlieren konnte: Selbst wenn man versuchte, die erwartbare Diskussion zu umgehen und versuchte, sich den Jahresanfang als kurze Flucht aus Lohnarbeit, Politik und Alltagsrassismus schön zu machen, war dies unmöglich: Titelseiten in Kiosken auf der Straße, Meldungen sobald man TV, Radio oder Social-Media anstellte: Von überall knallte es auf einen ein, dass „Integration“ gescheitert sei, dass das Problem „türkische und arabische“ Jugendliche seien, dass Sozialarbeit nicht mehr funktioniere und die einzige Lösung die Ausweisung sei, um sich der Probleme zu entledigen und den Volkskörper rein zu halten von solchen Problemen (letzteres wurde zwar nicht ganz so oft offen gesagt, ist aber bei vielen die logische Konsequenz).

Dass es etwas anderes ist, ob man sich Straßenschlachten mit Bullen liefert oder Feuerwehrleute, die vielleicht gerade irgendwo einen Brand löschen müssen, mit Raketen beschießt und letzteres schlicht und einfach scheiße ist, ist klar. Darum soll es aber hier nicht gehen. Ebenso wenig soll es um die genauen Vorkommnisse gehen, die ein paar Tage später doch nicht ganz so krass erscheinen, wie uns in den ersten Tagen weis gemacht wurde. Es soll auch nicht um eine Reihe sicher lohnenswerte Vergleiche gehen, zum Beispiel: Wann Angriffe auf Bullen und Rettungskräfte einen bundesweiten Skandal darstellen und wann sie lediglich eine Meldung unter vielen sind; Ab wie viel Prozent nichtdeutscher Namen in einem Viertel schon seit Jahren Medien von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ anstatt von „ausgelassenen Feiern“ schreiben; Inwiefern eine höhere Polizeipräsenz in einzelnen Vierteln auch zu mehr Aufnahmen von Straftaten führt und die Polizei und Politik damit Kriminalitätsstatistiken beeinflussen; Oder ab welchem Immobilienwert Krawalle in migrantischen Vierteln von politischer Brisanz sind und unter welchem Quadratmeterpreis sie niemanden jucken. All dies wären lohnenswerte Fragen um die Debatte zu versachlichen, sollen hier aber kein Thema sein. Hier soll es um den rassistischen Meltdown des ach so weltoffenen Bürgertums gehen, der in den vergangen Tagen beobachtet werden konnte und was er bei einigen von uns Kanaken bewirkt.

Wer wird uns immer verraten? Hessische Sozialdemokraten

Es dauerte nur wenige Tage, bis Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dem rassistischen Mob, der in Artikeln und Kommentarspalten wütete, zur Seite sprang. Zwar nicht ohne eine leere Distanzierung von rechts, aber vor allem mit der Schuldzuweisung für die Silvesternacht an „Integrationsverweigerer“, die an allem Schuld seien. Damit externalisierte sie die Neuköllner Böllerei als außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft. „Es gibt ein Problem mit Gewalt? Muss daran liegen, dass sich die Kanaken in Deutschland nicht richtig integriert haben, weil Deutsche machen sowas nicht“, so der nicht offen ausgesprochene Gedanke hinter der Formulierung.

Die Aussage der Bundesinnenministerin weckt Erinnerungen an den NSU und die rassistischen Ermittlungen der Polizei. Damals hatte die Polizei in einem Vermerk festgehalten, dass der oder die Täter der Mordserie nicht aus dem deutschen „Kulturraum“ stammen könne, da in Deutschland das Morden mit einem Tabu belegt sei, was bei Menschen aus anderen Ländern nicht so sei. Das Töten von Menschen wurde damit externalisiert, ein Problem, was es unter Deutschen nicht gäbe. Wenn Faeser nun die Gewaltkriminalität in Neukölln auf das Handeln von „Integrationsverweigerern“ zurückführt, externalisiert sie auf dieselbe Weise. Das Perfide daran: Faeser weiß von diesen rassistischen Ermittlungen. Sie war jahrelang Mitglied im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss und muss den Vermerk kennen. Dass sie mit diesem Wissen dennoch diese rassistische Externalisierung aus den NSU Ermittlungen wiederholt, macht das Ganze nur noch abstoßender.

Und wo wir gerade bei abstoßend sind: Auch ein Abgeordneter der Frankfurter SPD zeigte im Nachgang der Silvester-Böllerei seine hässliche rassistische Fratze: Der Römer-Abgeordnete und kulturpolitische Sprecher der Frankfurter SPD Thomas Bäpple-Wolf veröffentlichte ein Video, indem er nicht nur „Durchgreifen“ und Abschiebungen forderte, sondern auch nicht-Weiße Jugendliche in offenem Rassismus mit Affen verglich. Das versuchte er zwar durch das Löschen des Videos zu verheimlichen, gelungen ist ihm dies aber dank eines Reupload durch andere aber nicht. Bäpple-Wolf, der mit Bühnenprogrammen durch diverse Frankfurter Kleinkunstbühnen und Museen tourt, steht dabei stellvertretend für die ach so aufgeklärte Kulturburgeosie, die sich immer gegen rechts positioniert, nur um dann doch bei jedem willkommenen Anlass im rechten Mob aufzugehen.

Nun mag man sagen, dass einzelne Rassisten und Antisemiten in der SPD nach Thilo „Die Juden teilen sich ein gemeinsames Gen“ Sarrazin keine Besonderheiten sind. Aber dass ein Mann sich offener rassistisch äußert als die meisten AfDler dies tun würden (natürlich alles unter dem „Man darf der AfD das Feld nicht überlassen“-Mantel) und seine Partei die SPD sich auch Tage danach noch nicht dazu geäußert oder Konsequenzen gezogen hat, zeigt, wie viel Rückhalt solche Positionen in der Frankfurter SPD haben. Wer offen biologistischen und kolonialen Rassismus äußert sollte keine Macht haben, als Abgeordneter und kulturpolitischer Sprecher über stadtpolitische Geschehnisse in Frankfurt und die Menschen die dort leben mitzuentscheiden. All das über das Ticket der SPD.

Bitteres Warten auf den nächsten Anschlag

Getoppt wurden die Rassist*innen der bürgerlichen Mitte in der SPD nur mal wieder von den Rassisten der bürgerlichen Mitte in der CDU. Diese stellte im Berliner Abgeordnetenhaus eine Anfrage nach den Vornamen der Täter*innen der Silvesternacht mit deutscher Staatsbürgerschaft. Damit traute die Berliner CDU sich einen Tabubruch, den sich bisher nur die AfD erlaubt hat. „Ihr mögt zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber echt deutsch seid ihr nicht“, so der Gedanke dahinter. Damit entlarvte die Berliner CDU zumindest, wie dünn die Maskerade aus „Du bist Deutschland“- Multikulti-Nationalismus und „Verfassungspatriotismus“ ist und entblößt die Blut-und-Boden-Ideologie, die nur dünn verkleidet darunter liegt.

Auch außerhalb von SPD und CDU hat sich in den ersten Tagen des Shitstorms gegen alle mit zuvielen Ös und Üs und Konsonanten außerhalb des lateinischen Alphabets im Namen fast niemand getraut, dem rassistischen Mob der ganz großen Koalition in Deutschland Paroli zu bieten, der nicht selbst betroffen wäre. Und selbst der Großteil der Kanaken bei Grünen, Linken, im Kulturbereich und sonstwo hat lieber die Fresse gehalten, anstatt sich in Gefahr zu begeben, selbst in die Schusslinie zu geraten. Das größte Kulturgut in Deutschland, in das man sich zu integrieren vermag, ist und bleibt der Konformismus.

Angereichert wurden die zahlreichen Berichte aus Neukölln teilweise mit Fakeaufnahmen, die einen Angriff auf einen Krankenwagen zeigen, die aber eigentlich aus Hongkong stammen. Wenn solche Fakenews es schon auf die großen Socialmedia Plattformen und in Medienartikel schaffen, was ist dann erst in Whattsapp-Familienchats, neurechten Discord-Channels und den üblichen Telegrammgruppen los? Welche Lügen werden da erst verbreitet?

Würde es jemanden wundern, wenn nach diesem Diskurs der letzten Woche in zwei Tagen oder zwei Monaten in Neukölln oder einem Ort, der eine ähnliche Projektionsfläche für Rassisten ist, eine Bombe hochgehen würde? Oder sich jemand, vom Gedanken beflügelt, er würde den wahren Volkswillen umsetzen, wie in Hanau überlegt ein paar Kanaken abzuknallen? Würde es irgendjemand wundern, wenn sich durch die aktuellen Aussagen jemand dazu berufen fühlt, es den „Integrationsverweigerern“ mal so richtig zu zeigen? Das Tragische ist: Wir sehen die Gefahr, können uns die nächsten Toten in Shisha-Bars gut vorstellen, wissen, dass sie aussehen oder heißen werden wie wir selbst, und sehen dem ganzen doch ohnmächtig entgegen. Und dieselben Politiker*innenfressen, die jetzt was von „Integrationsverweigerern“ labern oder einen Rassisten in ihren Reihen dulden würden dann ankommen, ein paar Krokodilstränen vergießen, was von gesellschaftlichem Zusammenhalt faseln und ein paar Monate PR-wirksame klitzekleine Stiche mit großer Medienpräsenz gegen die rechte Szene durchführen, bevor man die nächste “Integrationsverweigerer“-Sau durchs Dorf treiben kann.

Beim Lesen dieses Textes mag sich so manch ein*e Linksradikale*r denken: „Ja mein Gott, das ist doch alles nicht neu, von SPD und Co waren schon immer nichts anderes zu erwarten“. Damit mögen sie recht haben, doch ist dies einer der Momente, wo dieser Zynismus nicht mehr als Schutzstrategie wirkt. Denn auch wenn es analytisch richtig sein mag, zu keinem Zeitpunkt Hoffnungen auf progressive Veränderungen in die Sozialdemokratie und ihre Wurmfortsätze zu stecken, ist die Gewissheit, mit der einige das sagen, eine Form der Abwehr via Zynismus. Denn wer sich die Bedeutung solcher Aussagen wirklich verinnerlicht und jedwede Hoffnung in die Menschen in seinem Umfeld aufgegeben hat, müsste eigentlich daran zusammenbrechen. Doch gibt es Momente, wo sich diese Schutzmauer des Zynismus nicht aufrecht erhalten lassen kann. Dies ist so einer. Und so sickert die bittere Erkenntnis, dass wir Kanaken im Zweifel auf niemanden vertrauen können, nicht auf Nachbar*innen, nicht auf Arbeitskolleg*innen, vielleicht nicht mal auf einige unserer Freund*innen, langsam aber stetig in uns ein. Es ist die bittere Erkenntnis, dass wir mit der Allgegenwärtigkeit von Rassismus in Deutschland alleine gelassen sind und auch von jenen Linksliberalos, die sich regelmäßig gegen rechts positionieren, am Ende nichts erwarten können. Die hier mitunter durchscheinende Weinerlichkeit ist nicht schön, sie macht keinen Spaß. Aber es macht schlicht unendlich traurig dies so zu sagen, aber wenn es hart auf hart kommt, sind wir allein.

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