Wir veröffentlichen hier eine Zusendung, die sich kritisch mit dem Text „Für einen ordentlichen Wutwinter“ der Frankfurter Gruppe „Aurora Räteaufbau“ auseinandersetzt. Die Redaktion freut sich auch über weitere Beiträge und eine Fortsetzung dieser dringend notwendiger Debatte zum Verhältnis von antifaschistischer und sozialrevolutionärer Politik. Schreibt uns!

Die Genoss*innen von Aurora überspringen den Heißen Herbst und rufen direkt zum Wutwinter auf. Sie stellen dabei richtigerweise heraus, dass die Proteste zur anwachsenden sozialen Krise umkämpfte Orte sein werden, in denen wir uns als Linke nicht auf eine Rolle an der Seitenlinie beschränken dürfen. Vielmehr müssen wir zentrale Akteur*innen der Proteste werden und uns nicht davor scheuen, antifaschistische Kämpfe innerhalb der Bewegung zu führen. Das augenscheinliche Vorbild sind die Gelbwesten. So weit so richtig. Zu dem Zeitpunkt als der Text von Aurora erschienen ist, waren Proteste von links bereits geplant und umgesetzt.

Dennoch macht der Text eine solidarische Kritik unerlässlich. Denn das zentrale Problem in der Argumentation von Aurora ist, dass ihre Überlegungen vor allem in einer falschen Darstellung und Kritik der Linken und insbesondere antifaschistischer Aktionen münden. Aurora schießt dabei nicht nur rhetorische am Ziel vorbei, sondern knüpfen auch überraschend leichtfertig an rechte und bürgerliche Diskurse an. Zugespitzt gesagt, entsteht beinahe der Eindruck, dass Aurora ein größeres Problem in den antifaschistischen Protesten gegen die Corona-Rechten sieht, als in den rechten Massenmobilisierungen selbst.

Weder in der Corona-Pandemie noch im Zuge des Ukraine-Krieges hat die Linke es geschafft, ihre Anliegen in die breite Öffentlichkeit zu tragen – das stimmt. Doch in anderen sozialen Bewegung wie der Klimabewegung, Mietkämpfen, Arbeitskämpfen im Krankenhaus, bei Protesten gegen Polizeigewalt, Antifaschismus, feministischen Kämpfen sowie der Erinnerungsarbeit um Halle und Hanau sind wir wichtige Akteur*innen. Wie Aurora der Linken da unterstellen kann, soziale Bewegungen häufig nicht als Terrain ideologischer Auseinandersetzung zu begreifen, wo genau das doch die tägliche politische Arbeit ist, bleibt offen. Die Gruppe begründet aber ihre Kritik vor allem an zwei Protesten, bei denen es die Linke nicht geschafft habe, präsent zu sein. Doch schauen wir uns die Proteste zum Ukraine-Krieg und zu Corona einmal einzeln an.

Aurora behauptet in Bezug auf den Ukraine-Krieg, ein nicht unerheblicher Teil der Linken hätte sich für die Politik der Herrschenden und gegen eine klare Antikriegshaltung entschieden. Es wären Waffenlieferungen und eine EU-Armee gefordert worden. Die Stimmung sei von NATO-Propaganda geprägt. Doch von welcher Linken spricht Aurora hier eigentlich? Die Linkspartei hat auf ihrem Parteitag Waffenlieferungen abgelehnt und sich gegen die Aufrüstung von Bund und NATO ausgesprochen. Selbst der DGB hat sich gegen die Militarisierung und gegen die Politik der Konfrontation gestellt. Und die radikale Linke? Der Konsens gegen die Aufrüstung von Deutschland und der NATO ist ungebrochen. Von der Forderung nach einer EU-Armee, die Aurora erwähnt, habe ich hier nirgendwo gelesen. Über Waffenlieferungen wurde offen und insbesondere mit linken Stimmen aus der Ukraine debattiert – eine größere Parteinahme für Waffenlieferungen ist allerdings ausgeblieben. Was bleibt also von der NATO-Propaganda in der Linken? Eigentlich nicht viel. Übrig bleibt allein, dass viele Linke sich von einer Äquidistanz verabschiedet haben. Russland wird von großen Teilen der Linken als hauptverantwortliche Kraft für den Angriffskrieg gesehen – in Übereinstimmung mit den meisten Positionen unserer Genoss*innen in der Ukraine und Russland. Dass die NATO mit Osterweiterung, Aufrüstung und Militärmanövern zu einer Eskalation des Konflikts beigetragen hat, war dabei aus meiner Sicht in der radikalen Linken gar nicht sonderlich umstritten – umstritten war nur, was für eine Rolle die Kritik an der NATO im Angesicht des russischen Angriffskrieges spielen soll. Trotz manch sicherlich problematischer Äußerungen und Analysen muss man aber das Gesamtfazit ziehen: Von Positionen, die Partei für die NATO ergreifen, war bei etablierten linksradikalen Zusammenhängen nichts zu hören. Im Gegenteil: manche orthodox-kommunistischen Möchtegern-Parteien brachten es sogar fertig, den russischen Angriffskrieg zu verteidigen. Dabei hat Aurora recht, dass die meisten Aktionen der Linken zum Angriffskrieg in Frankfurt tatsächlich eher klein blieben – Ausnahmen waren sicherlich die revolutionäre Demo und der antikapitalistisch-antimilitaristische Block auf der DGB-Demo am 1. Mai. Das lag aber nicht an mangelnder Systemkritik, sondern meiner Meinung nach auch daran, dass hier in Anbetracht der herrschenden gesellschaftlichen Stimmung wirklich teilweise wenig zu holen war – auch wenn unser Potential sicher nicht ausgeschöpft wurde. Vieles davon kann und muss man taktisch kritisieren oder ideologisch falsch finden, aber der Linken hier einen von NATO-Propaganda geprägte Stimmung zu unterstellen und Seite an Seite mit dem herrschenden Block gestanden zu haben, ist schlichtweg absurd. Damit übernimmt Aurora den Diskurs von Wagenknechtler*innen und rechten Akteur*innen, die mit aller Macht versuchen so zu tun, als wären sämtliche Linke ein Teil des Establishments. Es ist der Versuch der Rechten, sich das Patent auf Widerstand, Rebellion und Kritik zu sichern. Sich als kommunistische Gruppe auf solche Diskurse einzulassen und das rechte Bild über die linke Bewegung zu reproduzieren, ist ein fataler Fehler.

Fataler wird es noch, wenn der Text von Aurora sich den Corona-Protesten zuwendet. Die Rechten hätten berechtigte Wut über sinnfreie Maßnahmen kanalisiert. Die antifaschistische Intervention hingegen sei „ein folgenreiches Dilemma“ gewesen. Übriggeblieben sei ein gesellschaftliches Bild von einer Linken, die scheinbar bedingungslos auf Seite der Regierung stehe, ohne jegliche Kritik an Staat und Kapital. Der implizite Tenor ist, die Linke hätte bei den Corona-Protesten das machen sollen, was Aurora für den Wutwinter vorschlägt: Teil der Bewegung sein und Kämpfe um Hegemonie in der Bewegung führen. Dazu einige Einsprüche:

  1. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen haben sich im Großen und Ganzen nicht gegen soziale Missstände oder sinnfreie Maßnahmen gerichtet. Die Wut kristallisierte sich vor allem an den durchaus sinnvollen Maskenregelungen und Impfungen. Unmut und Rebellion richteten sich dabei gegen regierende Parteien sowie einzelne Politiker*innen und manifestierten sich in antisemitischen Verschwörungsfantasien. Angriffe auf das Kapital, Problematisierung sozialer Missstände, Umverteilungsforderungen oder eine ernsthafte Systemkritik waren hier nicht zu finden. Im Gegenteil: die Rufe nach Öffnung und Fortführung von Handel und Produktion waren durchaus im Einklang mit großen Kapitalfraktionen. Ansatzpunkte für eine Zuspitzung und ideologische Unterfütterung von links gab es bei diesen Protesten also schlichtweg nicht. Wir hatten es von Anfang an mit einer ideologisch rechtsgerichteten Bewegung zu tun. Die Proteste sind ja auch nicht aus dem Nichts entstanden, sondern wurden organisiert. Die Organisator*innen kamen dabei durchweg aus dem esoterischen, verschwörungsideologischen, büregrlich-reaktionären oder offen rechten Milieu. Wenn Aurora wirklich glauben sollte, hier seien berechtigte Proteste einfach nur von Rechten unterwandert und vereinnahmt worden, bewegen sie sich auf einer Linie mit dem analytische Rahmen der bürgerlichen Mitte.
  2. Dass es sich um von Grund auf rechte Proteste handelt, zeigt sich auch an der sozialen Basis der Corona-Proteste. Gerade für eine kommunistische Gruppe wie Aurora, die einen zentralen Fokus auf Klassenkampf legt, sollte das relevant sein. Die mir bekannten Untersuchungen und Analysen zu der sozialen Zusammensetzung der Corona-Protest zeigen recht eindeutig: hier war nicht primär die Arbeiter*innenklasse auf der Straße. Vielmehr handelt es sich meistens um Proteste des Mittelstands, des aufgebrachten Kleinbürgertums, die in erster Linie bürgerliche und schlicht falsche Vorstellungen von Freiheit verteidigen wollten. Wenn man schon von den kapitalistischen Wurzeln des Faschismus spricht, sollte man als kommunistische Gruppe auch über die soziale Basis und die politischen Ziele von Protestbewegungen reden, die entscheidend dafür sind, ob wir es mit tendenziell emanzipatorischen oder regressiven Bewegungen zu tun haben. Die soziale Basis des Faschismus war immer Mittelstand/Kleinbürgertum; das politische Ziel die Herstellung eines neuen gesellschaftlichen Konsens durch Ersetzung der politischen Eliten bei Wahrung der kapitalistischen Produktionsweise. Ohne vertieft in die Analyse zu gehen, inwiefern die Corona-Proteste faschistisches Potential hatten, sollte doch diese Parallele eines deutlich machen: die Corona-Proteste haben keinen emanzipatorischen Gehalt, sondern sind in jeder Hinsicht eine rechte Bewegung. Die zentrale Lehre der Geschichte des Faschismus, die gerade auch die kommunistische Bewegung schmerzlich lernen musste, ist doch gerade: rechte Massenbewegungen sind möglich und äußerst gefährlich. Sie gehören bekämpft, nicht umworben. Mit dieser „Tradition“ brechen zu wollen, ist trotz guter Absichtserklärungen kein Schritt in Richtung revolutionärer Organisierung, sondern im Zweifel die (unbeabsichtigte) ideologische Vorbereitung der Querfront. Die Konsequenz aus der Geschichte für uns muss sein, dass wir Bewegungen in Hinblick auf ihre soziale Basis, ihre politischen Ziele und ihren ideologischen Inhalt untersuchen müssen. Am Ende heißt das, dass wir bestimmte Protestbewegungen antifaschistisch bekämpfen müssen – wie eben richtigerweise die Corona-Proteste. Antifaschismus darf sich nicht auf den Kampf gegen Klischee-Faschos wie die NSP beschränken.
  3. Auch in Hinblick auf die Corona-Proteste halte ich das Bild von der systemtragenden Linken bzw. Antifa für einen rechten Mythos, dem wir uns entgegenstellen müssen, anstatt ihn zu schüren. Klar waren unsere sozialrevolutionären Positionen teilweise zu Gunsten der Priorisierung von reinem antifaschistischen Abwehrkampf weniger sichtbar. Auch hier kann man taktischen oder ideologischen Widerspruch einlegen – diese Debatte wurde insbesondere von antifaschistischen Gruppen zu genüge geführt. Aber bei alldem haben wir als radikale Linke nie unseren Antagonismus gegen Staat und Kapital versteckt. Die Bilder vom Wasserwerfereinsatz im Bahnhofsviertel haben Bände gesprochen. In Redebeiträgen, in Aufrufen, auf Transpis und in Parolen wurde Antikapitalismus und Staatskritik stets groß geschrieben. Auseinandersetzungen mit der Polizei und die darauf folgende Repressionen blieben natürlich nicht aus. Über das scheitern der antifaschistischen Strategie kann sicher noch viel gestritten werden. Nicht zuletzt war das Problem aber, dass wir häufig nicht einmal unsere eigenen Genoss*innen auf die Straße bekommen haben, um gegen die Corona-Rechten zu protestieren und unsere Inhalte zu vertreten – gerade Aurora habe ich ehrlich gesagt selten auf einem Protest im Zuge der Corona-Pandemie gesehen. Dabei waren die Proteste gegen die Corona-Rechten naheliegende Orte, um sozialrevolutionäre Positionen einzubringen. Alles in allem war es also richtig, die Corona-Proteste nicht als Chance von Links zu begreifen, sondern von Anfang an als rechte Bewegung zu bekämpfen. Im Nachhinein Antifaschist*innen vorzuwerfen, damit bedingungslos an der Seite der Regierung gestanden zu haben, ist analytisch nicht haltbar und politisch ein Schuss ins eigene Knie.

Zu guter Letzt muss noch gesagt werden, dass viele der Beispiele, die Aurora abseits davon anführt, eben von jenen antifaschistischen und linken Akteur*innen getragen wurden und werden, denen Aurora in ihren Überlegungen einen unvollständigen Antifaschismus vorwerfen, der die bürgerliche Gesellschaft verteidigen würde. Die Vernetzungen fürs Einkaufen in Zeiten der Quarantäne, die Proteste für Pflege und Gesundheit, die neuen Bündnisse gegen die Einschnitte und die Preissteigerungen zum Heißen Herbst, die Arbeit im Stadtteil, die solidarischen Küchen und militanten Symbole – das alles machen auch genau jene Antifaschist*innen, die die Corona-Rechten bekämpfen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich, häufig unzureichend organisiert und wenig strategisch, aber sicherlich immer gegen die Politik des nationalen Burgfriedens und nie an der Seite des herrschenden Blocks. Den Fehler, Antifaschist*innen nur in ihrer Rolle im Abwehrkampf gegen Rechts festzuschreiben und auszublenden, dass sie nie nur eine Bewegung gegen Rechts war, sondern immer Teil des Kampfes für eine andere, sozialere Welt ist, sollte eine kommunistische Gruppe wirklich nicht machen. Solidarische Kritik an Gruppen, Aktionen oder der gesamten Bewegung ist immer willkommen, denn es gibt viel besser zu machen! Aber Antifa-Gruppen als Verteidiger*innen des Status quo darzustellen – das ist der Diskurs der Rechten und den sollten Kommunist*innen wirklich nicht bedienen.

Solidarische Grüße aus der Antifaschistischen Aktion