Eine junge Frau aus Frankfurt wurde Ende Mai Angriff einer rassistischen Tat. Ein Mann zündete ihr die Haare and und sagte: „Raus aus meinem Land“.

Frankfurt – Saleha G. wurden von einem Unbekannten auf offener Straße die Haare angezündet und ihr gesagt: „Raus aus meinem Land.“ Seit dem rassistischen Angriff nimmt die 22-Jährige ihre Umgebung ganz anders wahr und fühlt sich nicht mehr sicher.

Saleha G. ist bis vor kurzem unbeschwert durch die Straßen Frankfurts gelaufen. Ihre langen schwarzen Haare – „das finde ich das Schönste an mir“ – hat die 22-Jährige seitlich über die Schulter getragen. Nie hat sie sich in Menschenmengen unwohl gefühlt. Seit dem 31. Mai ist alles anders. An diesem Tag hat ein unbekannter Mann in der Kollwitzstraße der Wohnsiedlung in Westhausen Saleha G.‘s Haare angezündet. Beim Davonlaufen in Richtung U-Bahn-Station rief er laut G.: „Raus aus meinem Land.“

Junge Frau aus Frankfurt mitten auf der Straße rassistisch angegriffen

Eine Woche nach dem rassistischen Angriff sitzt G. in einem Café. Die langen Haare hat sie zu einem Knoten zusammengebunden. Sie hatte Glück, es ist nur ein Teil weggekokelt, weil sie das Feuer schnell löschen konnte. Offen tragen will sie ihr Haar aber nicht mehr. Sie möchte erzählen, was ihr passiert ist, aber ihr Foto nicht in der Zeitung sehen und ihren vollen Namen preisgeben.

Nie hätte G. sich vorstellen können, dass sie als gebürtige Frankfurterin in ihrer Heimatstadt angegriffen wird. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich nicht willkommen bin. Ich habe mich nie als Ausländerin gefühlt. Jetzt habe ich das Gefühl, jeder Mensch guckt mich an“, sagt die junge Frau, deren Eltern aus Pakistan stammen. „Ich habe die ersten zwei Tage danach nichts gegessen und nichts getrunken.“ Sie ging auch nicht mehr alleine aus dem Haus. Entweder waren ihre Eltern, einer ihrer drei Brüder oder eine Freundin mit ihr unterwegs. „Es hat meinen Alltag beschränkt. Ich nehme meine Umgebung komplett anders wahr“, sagt sie.

Mann greift junge Frau in Frankfurt an: Das Motiv sei rassistisch

An besagtem Dienstag (31. Mai) ist Saleha G. auf dem Weg zur französischen Schule in Westhausen, um zwei Kinder abzuholen, deren Babysitterin sie ist. G. studiert und ist ausgebildete Erzieherin. „An diesem Tag hat mich die Mutter der Kinder gebeten, sie etwas früher zu holen.“ Es ist 14.15 Uhr, als G. an der U-Bahn-Station Stephan-Heise-Straße aussteigt und sich auf den Weg durch die Wohnsiedlung macht. Normalerweise ist dort durch zwei Schulen, eine Kindertagesstätte und einen Spielplatz viel los. An diesem Tag um diese Uhrzeit allerdings nicht.

G. trägt ihre Sonnenbrille, hat Kopfhörer im Ohr und hört laut Musik. „Auf einmal sehe ich, wie mir jemand entgegenkommt. Ich habe aber nicht auf ihn geachtet“, berichtet sie. Ihr sei nur aufgefallen, dass der Mann sehr langsam unterwegs war. Im Polizeibericht wird er später als etwa 50 Jahre alt, zwischen 1,75 Meter bis 1,85 Meter groß, mit hellblond-gräulichen Haaren und einem faltigen Gesicht beschrieben. Er soll ein weites, hellgraues Shirt und eine graue Jogginghose getragen sowie eine Bierdose in der Hand gehabt haben.

Rassistischer Angriff: Haare der 22-Jährigen mitten in Frankfurter Wohngebiet angezündet

Als der Mann neben ihr ist, hat G. den Kopf gesenkt und blickt auf ihr Handy. Plötzlich sieht sie eine Flamme an ihrer rechten Seite – und ihre Haare brennen. „Ich habe direkt versucht, das Feuer zu löschen, und geschrien“, erzählt sie. Ihre Sachen lässt sie fallen, dabei lösen sich auch die Kopfhörer aus dem Ohr. „Dann habe ich gehört, wie er sagt: ‚Raus aus meinem Land.‘“ Wie ihre Haare in Brand geraten sind, weiß sie nicht. Nicht, ob der Täter einen Brandbeschleuniger verwendet hat oder ihr ein Streichholz oder ein Feuerzeug ans Haar gehalten hat. „Es ging alles so schnell.“ Haare brennen aufgrund ihres geringen Wasseranteils und des hohen Proteingehalts in Sekundenschnelle ab. Saleha G. hat Glück, dass sie die Flammen schnell löschen kann.

Im Nachhinein bedauere sie es, dem Mann nicht hinterhergerannt zu sein oder ein Foto von ihm gemacht zu haben. Aber sie stand unter Schock. „Ich habe angefangen zu weinen. Ich hyperventiliere in Stresssituationen sehr schnell. Ich kam mit der Situation nicht klar.“ Ein kleines Mädchen, etwa neun oder zehn Jahre alt, sei kurz danach auf sie zugekommen und habe gefragt, was los sei. Auf G.‘s Bitte machte es ein Foto der verkokelten Haare. Sonst hat niemand etwas mitbekommen, zumindest hat die 22-Jährige niemanden gesehen.

Junge Frau aus Frankfurt: Nach rassistischen Angriff ruft sie die Polizei

Auf FR-Anfrage teilt die Polizei mit, „dass mehrere Hinweise in der Sache eingegangen sind und diesen im Rahmen der noch fortwährenden Ermittlungen nachgegangen wird“.

G. hat als Erstes ihre Mutter angerufen. Was sie ihr sagte, weiß sie nicht mehr. Nur an das Ende des Telefonats erinnert sie sich: „Ich rufe jetzt die Polizei an.“ Die Frau am Ende der 110 habe sie beruhigen können. „Ich habe noch nie ein so nettes Gespräch gehabt“, sagt G.. Während sie in der Nähe der Liebigschule auf die Polizei wartete, habe sie auch noch die Mutter der zu betreuenden Kinder angerufen, um ihr zu schildern, was passiert sei. Die habe sich darum gekümmert, dass sie erst mal weiter in der Schule betreut werden.

Angriff in Frankfurt: 22-Jährige beobachtet bereits zuvor Rassismus – Fühlt sich bisher immer sicher

Bis ein Polizist und eine Polizistin kamen, habe es rund 20 Minuten gedauert. In dieser Zeit hätte der Täter schon längst in der Innenstadt oder ganz woanders sein können. „Während ich weinend dasaß, habe ich es schon bereut, die Polizei gerufen zu haben“, sagt sie.

Ihr kamen Erinnerungen an ein eineinhalb Jahre zurückliegendes Telefonat mit der Polizei hoch. Damals arbeitete sie in einer Bäckerei in der Innenstadt. Als sie einen randalierenden Mann meldete, der auch ausländerfeindliche Sprüche von sich gab, sagte die Polizistin laut G. am Telefon: „,Geh zurück in dein Land‘ ist jetzt keine Beleidigung. Dafür würde ich nur ungerne jemanden schicken.“ Erst nach einem Anruf von G.s‘ Chefin rückten Beamt:innen an und nahmen den Randalierer fest.

Rassismus in Frankfurt: Mann zündet die Haare einer jungen Frau an

An das Gespräch mit dem Polizisten und der Polizistin nach dem Angriff auf sie erinnert G. sich mit Unbehagen. Deren Verhalten und Umgang empfand sie als kühl und empathielos. „Die haben mich mit Fragen bombardiert. Wie sah er aus? Wie groß war er? Was hat er getragen?“ Sie war immer noch aufgelöst, antwortete nach einiger Zeit, dass sie bereits am Telefon alles erzählt habe und jetzt im Moment nicht noch mal berichten könne. „Ich habe die Sache nicht realisiert, nicht verstanden, was mit mir passiert ist“, sagt G..

Ein Foto von ihren Haaren wurde gemacht, und im Anschluss an die Fragen sollte sie einen Zettel unterschreiben, damit der Angriff zur Anzeige gebracht werden konnte. „Ich habe einfach unterschrieben. Ich wollte in dem Moment einfach, dass es vorbei ist.“ Anschließend habe man ihr gesagt, sie könne nun gehen. „Wohin denn jetzt? Sollte ich den üblichen Weg zurück nach Hause fahren, obwohl der Mann in die gleiche Richtung weggerannt ist?“ Die Beamt:innen hätten ihr nicht angeboten, sie mitzunehmen oder für eine sichere Beförderung zu sorgen.

Polizei nicht sonderlich emphatisch: 22-Jährige nach rassistischem Angriff in Frankfurt verängstigt

Die Polizei teilt mit, „dass die Geschädigte auf die eingesetzte Polizeistreife einen gefassten Eindruck machte und angab, in der fußläufig gelegenen französischen Schule noch einen Termin zu haben“. Grundsätzlich aber sorge die Polizei für eine Fahrgelegenheit, sollte dies notwendig sein.

Saleha G. ging tatsächlich zur französischen Schule. Die Mutter der wartenden Kinder hatte die Schule informiert und ihr geschrieben, dass man sich dort um sie kümmern werde. „Sie haben mir Taschentücher und was zu trinken gegeben und haben mich beruhigt. Ich habe niemals gedacht, dass ich dort so viel Liebe bekommen würde. Ich kannte die Leute ja nur vom Sehen.“

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Die Kinder hätten zwar mitbekommen, dass etwas nicht stimme, weil sie durch den Wind gewesen sei, aber sie habe ihnen nicht erzählt, was passiert ist. Mit dem Taxi brachte sie die Kleinen zu deren Eltern, dann fuhr sie selbst nach Hause. „Dort kam alles in mir hoch. Ich habe geweint ohne Ende“, sagt G. Für ihre Familie sei ihr Erlebnis ebenfalls ein Schock gewesen.

Am Tag darauf meldete sich die Kriminalpolizei, auf dem Polizeipräsidium schilderte G. einer Beamtin ihre Geschichte. „Die Dame war sehr lieb“, sagt sie. Eine Sozialarbeiterin vor Ort vermittelte sie an das Trauma- und Opferzentrum. „Das wollte ich, ich kam ja mit der Situation nicht alleine klar.“ Zweimal war sie bereits dort, weitere Termine sollen folgen.

„Raus aus meinem Land“: Frau auf offener Straße in Frankfurt rassistisch angegriffen

„Wieso ist mir das passiert? Ist das Karma? Muss ich was gutmachen?“ Das sind Fragen, die sich Saleha G. seit dem Anschlag stellt. Zwei Tage lang habe sie nicht geschlafen. Sie wollte nicht fernsehen, keine Videos auf dem Handy schauen. „Ich habe einfach durch die Decke gestarrt und über mein Leben nachgedacht.“

Hin und wieder habe sie in der Vergangenheit mal Blicke gespürt oder Sprüche gehört wie: „Sie können aber gut Deutsch.“ Erst kürzlich wieder in einem Bewerbungsgespräch. Aber als Rassismus habe sie das nie bewusst wahrgenommen. Doch sie hat sich auch an Vorfälle aus der Kindheit erinnert. Zum Beispiel, als sie als Zehnjährige mit ihrer Mutter, die traditionelle pakistanische Kleider und ein Kopftuch trug, in ein Bekleidungsgeschäft ging. Dort habe ihre Mutter einer Frau auf die Schulter getippt, um sie nach dem Preis für ein Kleidungsstück zu fragen, weil sie ihre Brille vergessen hatte. „Die Frau ist einen Meter zurückgesprungen. Als Kind war ich total traurig. Ich hatte das Gefühl, sie finde uns dreckig, und sie hat gesagt: ,Fragen Sie jemand anderen‘“, erzählt G.. Im Nachhinein betrachtet sei das purer Rassismus gewesen. „Und so was ist nicht nur einmal passiert.“

Nach rassistischem Angriff in Frankfurt: „Angst, die mich den Rest meines Lebens begleiten wird“

Saleha G. ist noch bis Ende nächster Woche krankgeschrieben. Dann will sie versuchen, wieder einen Einstieg in den Alltag zu finden. Wenn nun jemand an ihr vorbeilaufe, sei es zum Reflex geworden, dass sie sich mehrmals umschaue. „Meine Alarmglocken sind an“, sagt sie. „Es ist eine ständige Angst, die mich den Rest meines Lebens begleiten wird. Ich frage mich, ob ich mich jemals wieder sicher fühlen kann in Frankfurt.“