Die folgende Zuschrift erreichte uns in Reaktion auf die Veröffentlichung des 8.-Mai-Flugblatts der Gruppe „Contre Critique“. Wir hatten uns entschieden, das Flugblatt auf dieser Seite zu dokumentieren, obwohl wir als Redaktion fast alles anders sehen als der Text von „Contre Critique“. Der Autor der Zuschrift hat uns dankenswerterweise erlaubt, diese hier zu veröffentlichen. Wir bedanken uns für diese Anmerkungen, insbesondere auch für die Kritik an unserer Redaktionsarbeit, und werden sie diskutieren.

Liebe Genoss*innen von Antifa-Frankfurt.org,

es ist richtig und wichtig ein undogmatisches antifaschistisches Infoportal zu haben, in dem alle Teile der Antifa-Bewegung zu Wort kommen können. Deshalb erst einmal: Danke dafür!

Nichtsdestotrotz verwundert mich doch sehr, dass ihr das Flugblatt von Contre-Critique „Antifa (Ge-)denken am 8. Mai?“ veröffentlicht. Wenn Kritik an linken Gruppen und Aktionen geübt wird, ist das natürlich zunächst etwas positives – auch wenn sich darüber gestritten werden sollte, welche Form und Art der Kritik politisch sinnvoll ist und was das Mindestmaß an innerlinker Solidarität ist, die darin zum Ausdruck kommen sollte. Dass ich den kompletten Politikstil und -inhalt von Gruppen wie Contre-Critique und anderen „ideologiekritischen“ für einen vor allem peinlichen Elitarismus halten, bei dem es den Leuten häufig scheinbar in erster Linie um die Selbstdarstellung ihrer vermeintlich akademischen Überlegenheit geht, ist dabei eine andere Diskussion. Dass nicht gerade wenige Männer aus diesen Gruppen früher oder später bei rechtsliberalen oder neu-rechten Parteien und Organisationen gelandet sind, ist ebenfalls ein anders Problem, das aber in der Bewertung und Auseinandersetzung mit diesen Akteur*innen beachtet werden sollte.

Und damit wären wir auch schon beim Thema. Nach der mehrfachen Lektüre des Flyers stellt sich mir immer noch die Frage, was daran eigentlich noch links sein soll? Die Anschlussfrage deshalb an euch als Redaktion eines antifaschistischen Infoportals: warum veröffentlicht ihr so etwas überhaupt?

Es fängt ja schon bei der Anrede „Liebe Nazienkel und Naziurenkel“ an, die Contre-Critique wählt. Scheinbar sind die Autor*innen nicht einmal in der Lage sich vorzustellen, dass bei den Demoorganisatorinnen und Teilnehmerinnen auch Jüd*innen und andere Menschen dabei waren, deren Familien in Nazideutschland verfolgt, eingesperrt, gefoltert und ermordet wurden. Aber das kann ja vielleicht noch als ignorante Polemik abgetan werden.

Kommen wir zum Inhalt, der neben wilden Assoziationsketten und Abschweifungen, extra schlauen Zitaten und fragwürdigen Polemiken eigentlich nur zwei Hauptkritiken enthält: erstens, dass die rechte Regierung Polens erwähnt wird, und zweitens, dass sich gegen Militarismus und Nationalismus gestellt wird.

Im vom Contre-Critique kritisierten Aufruf zur Demo heißt es:
„Auch global ist die Rechte auf dem Vormarsch: Neue Formen rechten Terrors von digital vernetzten Tätern, die im Alleingang handeln, stellen uns vor neue Herausforderungen. In Polen und Ungarn bauen rechte Regierungen systematisch demokratische Freiheitsrechte ab. Die globale autoritäre Offensive wurde in den letzten Wochen in mörderischer Weise in Form der Angriffskriege Putins gegen die Ukraine und Erdoğans gegen die Kurd*innen deutlich.“

Dabei stört Contre-Critique zum einen, dass am Tag der Niederlage des „Nationalsozialismus“ überhaupt etwas über die polnische Regierung gesagt wird, und zum anderen, dass die polnische Regierung als Teil der globalen Rechten gesehen wird. Dabei versteigen sich die vermeintlichen Ideologiekritiker*innen sogar zu folgender These: „Ein wenig Empathie würde schon reichen, um zu verstehen: In dem Maße, in dem man sich in Polen völlig zu Recht wieder zwischen den alten Großmächten eingekesselt fühlt, besinnt man sich auf die eigene Souveränität – und das heißt auch: aufs Nationale.“

Erst einmal gilt dagegen einzuwenden, dass aktuelle und lebendige Erinnerungspolitik auf jeden Fall auch ein Kritik am heutigen Weltgeschehen enthalten muss, wenn sie nicht rein „Folklore“ sein will. Natürlich gehört es zur deutschen Schuldabwehr, die heutige „Täterschaft“ von ehemaligen Opfer im besonderen Maße herauszustellen. Inwiefern das hier passiert sein soll, bleibt jedoch schleierhaft. Die NS-Kontinuitäten in Deutschland werden vorher so ausführlich dargestellt, wie es ein kurzer Aufruf zu lässt. Da Schuldabwehr zu unterstellen, lässt sich analytisch schwer halten. Aber in erster Linie scheint es Contre-Critique, um die Solidarität mit dem polnischen Nationalismus zu gehen. Damit fallen sie auch noch hinter den stumpfsten Dumpfbacken-Antiimperialismus zurück, der vor dem Hintergrund des imperialistischer Großmächte noch das letzte reaktionäre Regime verteidigen möchte. Antifeminismus, Antisemitismus, christlicher Fundamentalismus, Rassismus vor allem gegen Geflüchtete und Geschichtsrevisionismus, in dem die Kollaboration polnischer NationalistInnen bei der Ermordung der drei Millionen polnischen Jüd*innen verschwiegen werden soll – das ist wofür die polnische Regierung gerade steht. Ein wenig Empathie und Solidarität mit den Betroffenen dieser rechten Politik und unseren linken Genoss*innen in Polen würde schon reichen, um zu verstehen: am polnischen Nationalismus gibt es nichts zu verteidigen – dieses Geschäft kann man getrost der AfD überlassen. Wer es sich trotzdem auf die Fahne schreibt, Verständnis für rechte Regime zu propagieren, ist vor allem eins: nicht links.

Aber auch, dass die Demo sich gegen Militarismus und Nationalismus richtet stört Contre-Critique ungemein. „Wurden die Nazis denn vom gewaltlosen Widerstand der deutschen Zivilbevölkerung in die Knie gezwungen?“, fragen die Autor*innen rhetorisch. Wer in Deutschland gegen Militarismus auf die Straße geht, darf sich von Contre-Critique den Vorwurf „kognitiver Dissonanzen“ anhören und wird des „politischen Kitsches“ bezichtigt. Die unausgesprochene Schlussfolgerung von Contre-Critique scheint hier zu sein, dass gerade Auschwitz das heutige Deutschland zu Militarismus verpflichtet, da der Nazifaschismus militärisch besiegt wurde. Dabei vergisst Contre-Critique scheinbar ihre eigene Zustimmung zur Kritik der „Inszenierung [Deutschlands] als geläuterte Nation“. Denn gerade wenn man in Deutschland die NS-Kontinuitäten benennt und ein vollkommen richtige Ablehnung gegen „Joschka Fischer etwa, der Belgrad bombardieren ließ, um ein zweites Auschwitz zu verhindern“ empfindet, müsste man zu dem Schluss kommen, dass man zumindest in Deutschland gegen Militarismus auf die Straße gehen sollte. Die These, dass in Deutschland Militarismus gerade wegen Auschwitz gebraucht würde, kann man jenen überlassen die „humanitäre Interventionen“ im Interesse des deutschen Kapitals planen. Wer sich damit gemein macht, hat von „postnazistische Konstellationen, die jenseits des Gegen-Rechts-Schemas liegen“ nichts verstanden. Solche Leute sind vieles, aber nicht links.

Zu guter Letzt bleibt natürlich die Frage, was Contre-Critique für ein Problem damit hat, wenn eine antifaschistische Demo gegen Nationalismus ist. Dass sie Verständnis für die polnischen NationalistInnen einfordern, wurde schon gesagt. Aber es kommt noch kruder. Contre-Critique befindet: „der Nationalsozialismus [war] eine antinationale Bewegung“, denn: „Seine Leitgedanken lauteten: Rasse, Blut und Lebensraum. Sie waren gerade auf die Überschreitung des Nationalstaats angelegt“. Dass der NS im Sinn eines Reiches den Nationalstaat überschritten hat, macht ihn noch lange nicht antinational. Das Fazit dieser Analyse übersieht, dass die Begriffe Volk und Nation in der völkischen Bewegung von Anfang an und bis in den Nazifaschismus aufs engste miteinander verknüpft waren. Nation und Volk lassen sich nicht einfach trennen und erst recht nicht zu einem vermeintlichen Gegensatz konstruieren. Die „Analyse“ von Contre-Critique geht schlicht und einfach am Großteil der Faschismus- und NS-Forschung vorbei (vielleicht sollten diese Ideologiekritiker*innen mehr als nur Hannah Arendt lesen). Wer aber dann noch aus dem Nazifaschismus die Lehre zieht, dass Antifaschist*innen sich nicht gegen Nationalismus engagieren sollten, ist sicher sehr vieles, aber nicht links.

Dieser Text richtet sich nicht an Contre-Critique und die Erwiderung oder Gegenargumente von solchen „Post-Linken“ sind mir auch herzlich egal. Aber meine Bitte für die Zukunft an euch Genoss*innen von Antifa-Frankfurt.org wäre: Veröffentlicht doch bitte nicht solche Texte, in denen rechte Regierungen, Nationalismus und Militarismus verteidigt werden. Dabei ist auch egal, für was die Autor*innen sich halten, aber Linke oder Antifaschist*innen sind sie offensichtlich nicht. Deshalb muss man solchen Leuten auch keine Plattform geben, sondern kann sie getrost ignorieren.

Mit solidarischen Grüßen

ein Antifaschist aus Frankfurt