Hier findet ihr Ellas Abschlussworte.

Ein Jahr und neun Monate Gefängnis für „Ella“ – so lautet das Urteil des Landgerichts Gießen gegen die „uwP1“, die unbekannte weibliche Person, die seit ihrer Festnahme im Dannenröder Forst vor 17 Monaten in U-Haft sitzt. Wie zuvor das Amtsgericht Alsfeld erkannte auch das Landgericht Gießen in ihrem Verhalten einen tätlichen Angriff gegen Polizeivollzugsbeamte in zwei Fällen sowie gefährliche Körperverletzung.

Die Berufungsinstanz reduzierte allerdings die zunächst verhängte Haftstrafe um sechs Monate. Im Tumult ging die mündliche Urteilsbegründung des Richters unter. Im Zuschauerraum und vor dem Verhandlungsgebäude protestierten lautstark UmweltaktivistInnen, vor allem, weil das Gericht die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet hatte. Auch im Saal skandierten rund 20 AktivistInnen „Free Ella“ und „Hört auf zu lügen“. ZuhörerInnen schlugen gegen die Glaswand, die sie vom Verhandlungssaal trennte. Die Polizei räumte schließlich das Gebäude.

Die Umweltaktivistin Ella, die ihre Identität nicht preisgibt, hatte sich am 26. November 2020 bei der Räumung eines Baumhauses im Dannenröder Forst gegen Einsatzkräfte zur Wehr gesetzt. Sie und andere AktivistInnen wollten die Rodung des Herrenwaldes zum Weiterbau der umstrittenen Autobahn A 49 in Nordhessen verhindern. Gegen ihren Willen war „Ella“ bei bei dem umstrittenen Polizeieinsatz von Beamten aus 15 Meter Höhe geborgen worden. Laut Urteil hat sie dabei nach zwei Einsatzkräften getreten.

Auch der letzte Verhandlungstag der Berufung vor dem Landgericht in Gießen war von den völlig unvereinbaren Positionen von Anklagebehörde und Verteidigung geprägt. Hatte die Staatsanwaltschaft zuletzt der Angeklagten erneut vorgeworfen, sich mit „brutaler Gewalt“ und „hoher krimineller Energie“ den Einsatzkräften widersetzt zu haben, stellte die Verteidigung am Freitag „erhebliche Verfahrensfehler“ fest und bestritt insgesamt die Rechtmäßigkeit des Verfahrens.

Entlastenden Hinweisen sei die Justiz nicht nachgegangen: „Wie blind muss man gewesen sein, über all diese Hinweise hinwegzusehen“, sagte Rechtsanwältin Eva Dannefeldt. Der Einsatz der SEK-Polizeibeamten zur Räumung der Baumhäuser im Walddorf „Nirgendwo“ zur Vorbereitung der Rodung für den Weiterbau der A 49 sei insgesamt rechtswidrig gewesen, so die Verteidigung, die dafür plädierte, das Verfahren einzustellen.

Strafmaß um sechs Monate reduziert

Immerhin milderte das Landgericht die Haftstrafe um sechs Monate. Der Verteidigung war mithilfe von Videomaterial, das weitgehend von der Polizei erstellt worden war, der Nachweis gelungen, dass für die Einsatzkräfte keine Lebensgefahr bestanden hatte. Sie waren mit Seilen gesichert. Die Beamten mussten im zweiten Verfahren ihre Aussagen aus der Vorinstanz korrigieren. Für die Staatsanwaltschaft waren indes diese „Erinnerungslücken“ nachvollziehbar: Die Beamten seien selbst, „wenn nicht objektiv, so zumindest subjektiv in Lebensgefahr“ gewesen.

„Ella“ selbst hatte im Berufungsverfahren das Wort ergriffen. Die ihr zu Last gelegten Tritte gegen die Beamten hatte sie ihrem „Überlebensinstinkt“ zugeordnet. Auf den Hinweis das Vorsitzenden Richter, der Räumung des Dannenröder Forstes sei ein demokratischer Entscheidungsprozess vorausgegangen, hatte sie entgegengehalten: „Es ist kein Geheimnis, dass Demokratie für mich und viele nichts ist, was man feiern sollte, weil wir sie als einen Machtkampf erleben, bei dem die Bedürfnisse von Minderheiten unerfüllt bleiben.“

Sich selbst sieht sie als Kämpferin gegen die Zerstörung des Planeten. Die Klimakrise wird in ihren Augen durch ein System von Ausbeutung und Zerstörung der Natur ausgelöst. Den Verantwortlichen für den Weiterbau der A49 warf sie einen „Ökozid“ vor, gab sich in ihrem Schlusswort gleichwohl versöhnlich: „Jetzt ist die Zeit gekommen zu vergeben und für mich durch diese Tür in Freiheit zu gehen.“ Da wusste sie noch nicht, dass das Gericht mit dem Urteil die Fortdauer der Haft anordnen würde.

Das Strafurteil lautet auf 21 Monate Haft, siebzehn davon hat sie abgesessen. Bleiben noch vier, denn eine Aussetzung zur Bewährung scheitert wohl daran, dass die Identität von „Ella“ im Dunkeln bleibt. Ohnehin dürfte die Verteidigung eine Revision in Erwägung ziehen. Das Landgericht hatte zahlreiche Beweisanträge und einen Befangenheitsantrag gegen den Richter abgelehnt und ihr Prozessverschleppung vorgeworfen.