Wächtersbach ist eine Kleinstadt mit 12.000 Einwohner*innen. Am Montag versuchte der 55-Jährige Metzger Roland K. einen 26-Jährigen Eritreer auf offener Straße niederzuschießen. Laut seinem Abschiedsbrief sei die Tat geplant gewesen, sein Opfer wählte er am Montagmittag zufällig aus, sein einziges Kriterium war die schwarze Hautfarbe. Dieser rassistische Mordanschlag veranlasste uns, die Region um Wächtersbach und den Main-Kinzig-Kreis etwas genauer zu durchleuchten und die Ergebnisse hier kurz aufzuführen.


Während einer bundesweiten Razzia gegen „Combat 18“ (zu deutsch „Kampftruppe Adolf Hitler“) wurde 2006 bei 7 Personen aus Hessen das Haus durchsucht, auch das Haus einer Person aus dem Main-Kinzig-Kreis. Den Beschuldigten wurde damals vorgeworfen, Propagandamittel mit strafrechtlich relevantem Inhalt verbreitet und eine eigene Sektion der Vereinigung Combat 18 in Hessen aufgebaut zu haben.


Im November 2012 gründete sich ein Landesverband der Partei „die Rechte“, welche sich laut dem Antifaschistischen Infobüro Rhein-Main als ein „Auffangbecken für Neonazis entpuppt, in der sich vor allem wiederfindet, was verboten, parteilos oder unzufrieden mit der NPD ist“. Der hessische Landesverband von „die Rechte“ strukturierte sich nach einem Jahr laut eigenen Angaben um. Dies
kam einer Auflösung gleich. Der extrem rechte Zusammenhang propagierte seine
menschenverachtenden Einstellungen zeitweise unter dem Namen „Freier Widerstand Main-Kinzig“oder auch „Nationale Sozialisten Main-Kinzig“.


Bei der Europawahl im Mai 2019 erreichte die AfD in Wächtersbach 14,1 Prozent der Stimmen und war damit viertstärkste Partei in der Stadt. Bei der Landtagswahl im Oktober 2018 erreichte der damalige Direktkandidat der AfD, Edwin Michel, 18,34 Prozent. Schaut man sich die Wahlergebnisse des Main-Kinzig-Kreises von 2019 im Gesamten an, kommt man auf 20.730 Stimmen für die AfD, 462 für die NPD, 38 für den III. Weg und 101 für die Rechte. Bei der Kommunalwahl 2016 erhielt die NPD einen Sitz für Frank Ullmann (aus Gelnhausen) im Kreistag des Main-Kinzig-Kreises. Ebenfalls aus Gelnhausen stammt die von der AfD zur Bundestagsvizepräsidentin vorgeschlagene Mariana Harder-Kühnel, die bei der Bundestagswahl 2017 auf Platz 1 der hessischen Landesliste für die AfD antrat und seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt. Ihr werden enge Verbindungen zum extrem rechten, völkischen Flügel um Björn Höcke hat.


Nach dem Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 wurde die
Gefährdungslage von Ex-Landrat Erich Pipa erneut geprüft. Pipa, der bekannt wegen seines Einsatzes für Geflüchtete ist, erhält seit 2015 Drohbriefe, welche mit „Initiative Heimatschutz Kinzigtal“ unterschrieben sind. Die Androhungen reichen von Beschimpfungen bis zu Morddrohungen. Bis heute erhielt er 14 solcher Drohschreiben.


Dass die Polizei in einem Artikel zu dem aktuellen Mordversuch in Wächtersbach behauptet, dass eine offene neonazistische Szene nicht bekannt sei, ist perfide. Im Februar dieses Jahres wurden Carsten Müller und Martina Heinze von den sogenannten „Aryans“ wegen eines Angriffs auf Gegendemonstrant*innen und Passant*innen am 1. Mai 2017 in Halle verurteilt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die Neonazi-Gruppe ebenfalls wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung.


Diese exemplarischen Fälle aus den letzten Jahren stellen nur die buchstäbliche Spitze von rechten beziehungsweise neonazistischen Umtrieben im Main-Kinzig-Kreis dar. Es ist davon auszugehen, dass es auch ein großes Dunkelfeld an Vorfällen gibt, welche bisher nicht öffentlich wurden. In derAufzählung fehlten außerdem rassistische Schmierereien und tätliche Angriffe gegen Personen,
welche nicht in das neonazistische Weltbild von Nazis aus dem MKK passen. Diese Aufzählung zeigt, dass niemand behaupten kann, er oder sie „hätte von nichts“ gewusst. Es gibt seit Jahrzehnten Kontinuitäten rechter Gewalt und rechten Terrors.


Dieser Text ist eine ausführlichere Ausarbeitung eines Threads auf Twitter des freien Journalisten Sebastian Hell. Wir möchten dazu anhalten, antifaschistische Recherchen ernst zu nehmen und Prognosen und Vorausagungen solcher Strukturen Gehör zu schenken. Im Kampf gegen Nazis kann man sich nicht auf den Staat verlassen, vielmehr ist er Teil des Problems: Er vertuscht Beweise, deckt Täter*innen und wirkt über exekutive Organe gezielt mit. Dies zeigte das Hannibal-Netzwerk,
der NSU oder der „NSU 2.0“, ein rechtes Netzwerk innerhalb der hessischen Polizei, in den letzten Monaten zu genüge.

Deswegen fordern wir: Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz! Bekämpft Rechte Strukturen. Antifa in die Offensive! Lest und verfolgt antifaschistische Recherchen. Abonniert die entsprechenden
Magazine. Nehmt die Betroffenen rechter Gewalt ernst und schützt sie!


Quellen:
http://de.indymedia.org/2006/03/140801.shtml (C18 Durchsuchungen 2006)
https://www.infobuero.org/2014/04/die-rechte-in-hessen-gescheitert/
https://www.fr.de/rhein-main/main-kinzig-kreis/ex-landrat-weiterhin-gefaehrdet-zr-12830291.html
https://twitter.com/sebastain_hell/status/1153579921257705472

Gefunden auf dem Blog von AK069.