erschienen bei der Hessenschau
in Sommerlager mit Zelten, Würstchen grillen, Waldspaziergängen und Klimmzügen auf dem Spielplatz: Neonazis haben im nordhessischen Trendelburg (Kassel) auf dem Wasserschloss Wülmersen ein mehrtägiges rechtsextremes „Sommerlager“ veranstaltet und sich für die Sozialen Medien inszeniert.
In einem Instagram-Video der Gruppe „Der Störtrupp“ ist zu sehen, wie Vermummte mit Pyrotechnik vor einer Grillhütte posieren, eine Deutschlandfahne von der Burg herablassen, sich auf einer Wiese im Rummelboxen ausprobieren und rauchend durch den Wald laufen. Zuerst hatte die HNA berichtet.
Landkreis bewirbt Zeltplatz mit „Offen für Vielfalt“
Das Wasserschloss Wülmersen wird vom Landkreis Kassel verwaltet, auf der Internetseite prangt der Schriftzug „Offen für Vielfalt. Geschlossen gegen Ausgrenzung“. Der Landkreis bestätigte dem hr, dass die Neonazis vom 12. bis 14. September den Zeltplatz des Wasserschlosses gemietet hatten. Allerdings habe der Kreis nicht gewusst, dass es sich um Rechtsextreme handelte.
Der Landkreis und seine Jugend- und Freizeiteinrichtungen „distanzieren sich klar und unmissverständlich von jeder Form extremer und antidemokratischer Ideologie“, hieß es am Montag. Die Personen des „Störtrupp“ hätten sich als eine Gruppe von Freunden ausgegeben. Im Vorfeld und bei der Schlüsselübergabe habe es „keinerlei Hinweise auf die tatsächliche Gesinnung der Teilnehmer“ gegeben.
Im Mietvertrag sei zudem ausdrücklich festgehalten, dass keine Handlungen oder Äußerungen geduldet würden, die extremistisch seien: „Dies beinhaltet insbesondere die Ablehnung von Gewalt, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und jeglicher Form von Diskriminierung.“

Männlichkeitsgehabe und Wanderausflüge
An den Vertrag hielt sich die Gruppe „Störtrupp“ offensichtlich nicht. Sie ist eine Neonazi-Organisation, die aus ihrem Rassismus und ihrer Gewaltverherrlichung keinen Hehl macht. Wie viele andere rechtsextreme Splittergruppen folgen sie dem aktuellen Trend, in Sozialen Netzwerken Rechtsextremismus als „cool“ zu bewerben. Auf Instagram kombinieren sie Männlichkeitsgehabe mit Wandern im deutschen Wald, ein bisschen Sport und Boxen – unterlegt mit Rechtsrock.
Dabei sollen martialische Bilder entstehen: Vermummt und mit Fahnen in den Farben der Reichskriegsflagge klettern die Neonazis im Video vom Zelten am Wasserschloss auf einen Steinhügel. „Die Deutsche Jugend steht auf gegen Linksextremismus und für den Erhalt von Volk und Nation“, heißt es auf der Instagram-Seite der Neonazis.
„Unser Wille, Deutschland zu retten, ist unerschütterlich“, heißt es unter dem Wandertagsvideo. Der „Deutsche Störtrupp Westen“ hat diesen Sommer die ersten Videos auf seinem Account online gestellt und hat rund 600 Follower.
Anwerben für den Rechtsextremismus
Gruppen wie der „Störtrupp“ wollen vor allem junge Menschen über Soziale Medien rekrutieren. Die Bundesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage der Linken, dass die Zahl neuer rechtsextremer Gruppen dieser Art seit dem Sommer 2024 deutlich steige. Sie würden versuchen, zum Anlaufpunkt für junge Menschen zu werden und sie in die rechtsextreme Szene zu ziehen. Dabei entstünden bundesweite rechtsextreme Netzwerke.
Auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz heißt es über Gruppierungen wie den „Störtrupp“: „Sie konzentrieren sich insbesondere auf reichweitenstarken Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram auf die Werbung von jungen, internetaffinen, aktionsorientierten und auch gewaltorientierten Personen.“ Deutschlandweit hat der „Störtrupp“ laut den Behörden Mitglieder im niedrigen dreistelligen Bereich.
Laut der Bundesregierung gibt es in diesen Gruppen eine „abstrakte Gefährdung im Sinne einer potenziellen rechtsextremistischen Beeinflussung und Radikalisierung“ und ein Gewaltpotenzial. Gefährdet seien besonders jene, die Neonazis zu ihrem Feindbild erklärt haben: Menschen mit Migrationshintergrund sowie Angehörige der LGBTQ-Community und der linken Szene.
Deutlicher Zulauf bei Neonazi-Gruppen
Die hohe Reichweite der Rechtsextremen im Netz und die „virtuellen Aktivitäten“ hätten dazu geführt, dass innerhalb von kurzer Zeit „mobilisierungsfähige Gruppen“ entstanden seien, die deutlichen Zulauf hätten, heißt es von der Bundesregierung.
Wolfgang Schroeder, Politikprofessor an der Universität Kassel, sagte dem hr, der „Störtrupp“ sei keine Jugendgruppe, die zufällig zusammen gekommen sei: „Wir haben es hier mit erfahrenen Kampfkadern zu tun.“ Die Entwicklung solcher Gruppen sei bundesweit zu beobachten.
Das seien Personen mit einer Vorgeschichte im Rechtsextremismus, sagte Schroeder. Männerbünde, die Kampffähigkeit und Verteidigungsfähigkeit inszenierten, um so andere junge Männer zu rekrutieren und etwa Aktionen gegen die queere Szene und Christopher Street Days machen.
Landkreis will das nächste Mal genauer hinsehen
Als Konsequenz aus dem Vorfall am Wasserschloss will der Landkreis Kassel beim nächsten Mal genauer hinschauen: Die Gruppe sei für alle weiteren Buchungen blockiert. Der Kreis teilte mit, er entschuldige sich bei Gästen und Anwohnern rund um das Gelände. Der Staatsschutz sei informiert, der Kreis im Gespräch mit den Rechtsextremismusexperten des Mobilien Beratungsteams in Hessen.
Der Kreis betonte, seine Jugend- und Freizeiteinrichtungen stünden für Toleranz, Offenheit und demokratische Grundwerte: Gruppen, die diesen Prinzipien widersprechen, seien „ausdrücklich nicht willkommen“.